1Q84: Buch 3
langsam aus. Der Rauch, der eine charakteristische Süße hatte, verbreitete sich im Zimmer. Sie bedeutete Tengo, das Gleiche zu tun. Er nahm die Pfeife, zog daran und behielt den Rauch so lange wie möglich in der Lunge. Dann stieß er ihn langsam aus.
Wortlos ließen sie die Pfeife hin und her gehen. Die Nachbarn hatten den Fernseher wieder eingeschaltet, und das vermeintlich heitere Gelächter im Studio drang immer lauter durch die Wand. Offenbar hatten sie den Ton weiter aufgedreht. Unterbrochen wurde das Gelächter nur von der Werbung.
Sie rauchten etwa fünf Minuten lang, aber nichts geschah. Die Umgebung zeigte keine Veränderung. Farben, Formen und Gerüche blieben dieselben. Die Eule huhute weiter im Wäldchen, und Kumi Adachis Haare pikten weiter in Tengos Hals. Auch das Sofa blieb unverändert unbequem. Der Sekundenzeiger der Wanduhr bewegte sich in der gleichen Geschwindigkeit im Kreis, und die Leute im Fernsehen lachten unvermindert laut über irgendwelche Witze. Obwohl sie sich anscheinend halb kaputtlachten, war es kein Gelächter, das fröhlich stimmte.
»Es passiert ja gar nichts«, sagte Tengo. »Vielleicht wirkt es bei mir nicht.«
Kumi Adachi klopfte ihm zweimal aufs Knie. »Das wird schon, es dauert nur ein bisschen.«
Sie hatte recht. Bald geschah etwas. In Tengos Kopf klickte es, als werde ein verborgener Schalter umgelegt, und etwas setzte sich träge in Bewegung. Als ob man eine Schale mit Reisschleim auskippte. Seine Hirnmasse schien zu schwappen. Es war das erste Mal, dass er sein Gehirn als Substanz wahrnahm. Seine Konsistenz spürte. Der dunkle Ruf der Eule floss durch seine Ohren und mischte sich mit dem Reisschleim, bis beides völlig miteinander verschmolzen war.
»In mir ist eine Eule«, sagte Tengo. Die Eule war jetzt Teil seines Bewusstseins. Ein wichtiger, untrennbar damit verbundener Teil.
»Die Eule ist der allwissende Schutzgott des Waldes, sie gewährt uns die Weisheit der Nacht«, sagte Kumi Adachi.
Aber wo und wie konnte er den Rat der weisen Eule erbitten? Die Eule war überall und nirgends. »Mir fällt keine Frage ein«, sagte Tengo.
Kumi Adachi nahm seine Hand. »Du brauchst keine Frage. Du musst nur in den Wald gehen. So einfach ist das.«
Jenseits der Wand dröhnte wieder das Gelächter aus dem Fernseher. Es wurde auch geklatscht. Wahrscheinlich stand hinter der Kamera ein Regieassistent und signalisierte dem Publikum mit Schildern, wann es zu lachen oder zu klatschen habe. Tengo schloss die Augen und dachte an den Wald. Wie er hineinging. Tief im dunklen Wald war das Reich der Little People. Aber dort war auch die Eule. Sie war allwissend und gewährte die Weisheit der Nacht.
Plötzlich verstummten alle Laute. Als habe sich jemand von hinten genähert und ihm die Ohren verstopft. Irgendwo hatte jemand eine Klappe geschlossen und irgendwo anders eine geöffnet. Ausgang und Eingang waren vertauscht worden.
Plötzlich befand Tengo sich in seinem alten Klassenzimmer. Das Fenster stand weit offen. Aus dem Schulhof ertönten Kinderstimmen. Hin und wieder blähte ein Windstoß die weißen Vorhänge. Neben ihm stand Aomame und hielt ganz fest seine Hand. Es war die gleiche Szene wie immer – aber etwas war anders als sonst. Alles, was er sah, war fast bis zur Unkenntlichkeit scharf und besaß eine lebhafte, körnige Struktur. Jeden Aspekt und jede Form vermochte er bis in die winzigsten Einzelheiten wahrzunehmen. Er brauchte nur die Hände auszustrecken, um die Dinge zu berühren. Der Geruch des frühwinterlichen Nachmittags zog ihm in die Nase. Als ob ein Mantel, der bis dahin alles bedeckt hatte, heruntergerissen würde. Authentische Gerüche. Der vertraute Geruch der Jahreszeit. Des Tafelschwamms. Die Mischung aus Reinigungsmitteln und dem Laub, das in einer Ecke des Schulhofs verbrannt wurde. Als Tengo diese Gerüche in seine Lungen einsog, spürte er, wie sein Inneres sich weitete, an Tiefe gewann. Im Stillen verwandelte sich auch die Struktur seines Körpers. Sein Herzschlag war nicht länger nur sein Herzschlag.
Einen winzigen Augenblick lang wurde die Tür der Zeit nach innen aufgedrückt. Altes Licht vermischte sich mit neuem Licht. Alte Luft wurde eins mit neuer Luft. Dieses Licht und diese Luft, dachte Tengo. Und ich kann alles aufnehmen. Fast alles. Wieso konnte ich mich bisher nicht an diesen Geruch erinnern? Wo das doch so einfach ist. Und er zur Welt, wie sie ist, dazugehört.
»Ich wollte dich sehen«, sagte Tengo zu Aomame. Seine Stimme klang
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