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1Q84: Buch 3

1Q84: Buch 3

Titel: 1Q84: Buch 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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eine wunderbare Sache ist, aber Tengo hatte offenbar sehr darunter zu leiden.«
    Ushikawa knüpfte geschickt an dieses Thema an, um ihr weitere Einzelheiten zu entlocken. Andere Menschen ins Plaudern zu bringen war seine Spezialität. Die Lehrerin erzählte bereitwillig, wie Tengo in der fünften Klasse von zu Hause fortgelaufen war, weil er es nicht mehr ertrug, seinen Vater sonntags bei seiner Arbeit zu begleiten.
    »Eigentlich könnte man sogar sagen, er wurde regelrecht aus dem Haus getrieben«, erklärte die Lehrerin. Also musste Tengo tatsächlich mit seinem Vater auf Tour gehen, dachte Ushikawa. Genau wie ich es mir gedacht habe. Muss emotional ziemlich belastend für den Jungen gewesen sein.
    Die Lehrerin hatte Tengo, der nicht wusste, wohin er sollte, für eine Nacht bei sich aufgenommen. Ihm ein Nachtlager aufgeschlagen und Frühstück gemacht. Am nächsten Abend war sie zu Tengos Vater gegangen und hatte ihm ins Gewissen geredet. Sie erzählte davon, als sei es ein strahlender Höhepunkt in ihrem Leben gewesen. Sie berichtete auch, wie sie Tengo als Oberschüler zufällig bei einem Konzert wiederbegegnet sei. Und wie ausgezeichnet er damals Pauke gespielt habe.
    Diese Frau ist Tengo wirklich sehr zugetan, dachte Ushikawa beeindruckt. Sie empfindet bedingungslose Zuneigung für ihn. Was mochte das für ein Gefühl sein, von einem anderen Menschen so sehr gemocht zu werden?
    »Erinnern Sie sich noch an Masami Aomame?«, fragte Ushikawa.
    »Ja, ebenfalls sehr gut«, sagte Frau Ota, aber ihre Stimme klang nun weniger erfreut und um etwa zwei Noten tiefer.
    »Ein ungewöhnlicher Name«, sagte Ushikawa.
    »Ja, sehr ungewöhnlich. Aber daran liegt es nicht, dass ich mich so gut an sie erinnere.«
    Kurzes Schweigen.
    »Ihre Familie gehörte der Gemeinschaft der Zeugen an, nicht wahr?«, forschte Ushikawa.
    »Was ich Ihnen jetzt sage, muss aber unter uns bleiben«, sagte die Lehrerin.
    »Von mir erfährt selbstverständlich kein Außenstehender ein Wort.«
    Sie nickte. »In Ichikawa haben die Zeugen eine große Gemeinde. Daher habe ich relativ häufig Kinder aus dieser Sekte unterrichtet. Aus pädagogischer Sicht hatte jedes von ihnen Probleme, um die man sich kümmern musste. Aber ich habe noch nie so fanatische Anhänger wie Masamis Eltern erlebt.«
    »Das heißt, sie gingen keine Kompromisse ein.«
    Die Lehrerin biss sich leicht auf die Lippen, während sie sich zurückerinnerte. »Ja. Sie hielten sich mit äußerster Strenge an ihre Glaubenssätze und verlangten das Gleiche von ihren Kindern. Mit dem Ergebnis, dass Masami in ihrer Klasse völlig isoliert war.«
    »Masami Aomame war also gewissermaßen eine Ausnahmeperson, nicht wahr?«
    »Ja, durchaus«, pflichtete die Lehrerin ihm bei. »Natürlich waren nicht die Kinder verantwortlich. Schuld an so etwas ist immer die Intoleranz, die die Herzen der Menschen beherrscht.«
    Die Lehrerin erzählte nun von Aomame. Die anderen Kinder hatten sie völlig ignoriert. Sie weitestgehend als nichtexistent behandelt. Sie war eine Außenseiterin und ging den anderen mit ihren seltsamen Glaubenspraktiken auf die Nerven. So die herrschende Meinung in der Klasse. Also hatte Aomame sich geschützt, indem sie sich so unauffällig wie möglich verhielt.
    »Ich habe mich sehr bemüht, zu den Kindern durchzudringen. Aber sie waren sich unerwartet einig in ihrer Ablehnung, und Masami Aomame verwandelte sich beinahe in ein Gespenst. Heutzutage würde man einen Schulpsychologen hinzuziehen, aber damals existierte dieses System noch nicht. Außerdem war ich noch jung und hatte alle Hände voll zu tun, die Klasse einigermaßen zu bändigen. Auch wenn das wahrscheinlich wie eine faule Ausrede klingt.«
    Aber Ushikawa konnte nachvollziehen, was sie meinte. Grundschullehrerin war ein sehr schwerer Beruf, und oft blieb nicht viel anderes übrig, als die Kinder ihre Streitigkeiten unter sich abmachen zu lassen.
    »Glaube und Intoleranz stehen immer in einer komplizierten Wechselbeziehung, die wir kaum unter Kontrolle haben«, sagte Ushikawa.
    »Sehr wahr«, sagte die Lehrerin. »Aber es hätte sicher auf einer anderen Ebene etwas gegeben, das ich hätte tun können. Ich habe immer wieder versucht, mit Masami zu sprechen. Aber sie hat sich nie geöffnet. Sie hatte einen sehr starken Willen, und wenn sie einmal etwas beschlossen hatte, änderte sie ihre Meinung nicht mehr. Sie war ein hochintelligentes Mädchen. Hatte eine ausgezeichnete Auffassungsgabe und war sehr wissbegierig. Aber sie

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