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ins Paradies. Aber das sehen nicht alle so. Was es im Paradies noch gibt außer Milch und Honig? Ach, jetzt spielen Sie auf die Huris an …«
Lautes, gutmütiges Lachen füllt den kleinen Raum. Tom sitzt bei einem Wissenschaftler der Columbia University, einem Experten für die Kulturgeschichte des Islam.
»Die heiligen Jungfrauen? Die interessieren Sie also? Dann sagen Sie das doch gleich …«
Huri. Paradiesjungfrau. Schönheit mit mandelförmigen Augen. Vollkommene Reinheit. Geschenk für den erfolgreichen Krieger, Märtyrer, Dschihadisten.
»Ach, wissen Sie, das sollte man nicht so wörtlich nehmen. Genauso wie das Paradies. Wer weiß schon, ob es das gibt, und wenn ja, wie es aussieht.«
Wieder das gleiche, tiefe Lachen, das Tom ein Gefühl der Geborgenheit gibt. Das Lachen ist offen, schließt die Möglichkeit des eigenen Irrtums mit ein. Auch bei diesem Gespräch hat Tom den gleichen Vorwand angegeben: Er sei ein Architekt mit Interesse an historischen Fragen und wolle ein kleines Forschungsprojekt beginnen, vielleicht sogar eine Promotion. Islamische Baukunst in Vergangenheit und Gegenwart, mit einem Schwerpunkt auf Paradiesvorstellungen. Das Treffen ist sehr kurzfristig zustande gekommen, die Empfehlung der Kollegin vom MIT hat sicherlich auch geholfen.
»Kennen Sie die Geschichte der Assassinen? Eine kleine Sekte im Mittelalter, na ja, vielleicht ist die Geschichte auch erfunden. Aber wenn Sie sich für das Paradies und seine Jungfrauen interessieren, wird die Ihnen sicher gefallen.«
Assassinen. Ismailitische Sekte in Syrien und Persien, Hochzeit 11. bis 13. Jahrhundert. Von den Assassinen leitet sich das englische und französische »assassin« für Mörder ab. Raschid ad-Din Sinan (1122-1192), einer der Anführer der Assassinen, nutzte Selbstmordattentäter zur Durchsetzung seiner politischen Interessen. Zur Motivation wandte as-Din Sinan angeblich eine besondere Verführungstechnik an: Er lud junge Männer auf seine Burg Masyaf, gab ihnen Drogen und führte sie dann in seinen Garten. Dort gab es nicht nur Brunnen mit Milch und Honig, sondern auch schöne Frauen, die die jungen Männer umgarnten. Auf diese Weise lernten sie das Paradies kennen, das ihnen, so das verlockende Versprechen, nach erfolgreich ausgeführter Tat wieder offen stünde. Ein Garten als Ort der Glückseligkeit.
»Und wie ist das heute?«, fragt Tom. »Gibt es heute auch solche künstlichen Paradiese? Und die Selbstmordattentäter? An was für ein Paradies glauben die eigentlich?«
Ein langgezogenes »Ja« ist die erste Antwort, auf die eine lange Pause folgt. »Paradies heute? Vielleicht ›The World‹, wenn sie so wollen. Das sind künstliche Inseln vor Dubai, vielleicht ist das so eine Art heutiges Paradies. Aber ohne religiöse Aufladung, eher die arabische Variante des Kapitalismus. Und an was die Selbstmordattentäter glauben, wissen Sie, das ist schwer zu sagen. Man kann sie ja nicht mehr fragen«. Wieder das beruhigende Lachen. »Die Gelehrten, die streiten sich ohnehin darüber, was der Koran den Attentätern nun wirklich verspricht. Da gehen die Meinungen weit auseinander. Wer sich jedoch dazu entschließt, der wird auch eine schöne Belohnung vor Augen haben – wobei das vielleicht auch nur unsere westliche Projektion ist, wir verkennen zuweilen die Ausweglosigkeit der Situation, die in vielen Ländern herrscht. Westliche Ignoranz. Na ja, Ihnen erst mal viel Glück bei Ihrer Suche nach dem Paradies.«
Suche nach dem Paradies ist die richtige Bezeichnung für das, was Tom bevorsteht. Auch wenn es ein ganz anderes Paradies ist, als seine Gesprächspartner denken. Garten Eden. Künstliche Gärten. Tom kommen verschiedene Architekturprojekte in den Sinn, die mit Gärten zu tun haben. Und natürlich die Idee von Libeskind, Gärten in das neue World Trade Center einzubauen. Weil es so friedliche, lebensbejahende Orte seien. Norman Fosters hängende Gärten in Frankfurt. Nicholas Grimshaws Project Eden, ein riesiges Gewächshaus-System in England. Aber wie soll er einen solchen Garten auf einen Flughafen in Polen schaffen? Am ehesten realisierbar wäre wohl etwas in der Art von Tropical Island.
Tropical Island. Auf einem ehemaligen sowjetischen Militärgelände siebzig Kilometer südöstlich von Berlin liegt Deutschlands größter »Indoor-Regenwald«. Er befindet sich in einer Halle, die in den neunziger Jahren zur Fertigung von Luftschiffen geplant und errichtet wurde. Mit 360 Metern Länge, 210 Metern Breite und
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