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1WTC

1WTC

Titel: 1WTC Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich von Borries
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empfohlen. PDT steht für: »Please don’t tell«. Das Lokal ist gut versteckt, wer hinein will, muss durch einen Hotdog-Laden. Dort steht eine alte Telefonzelle mit einer Geheimtür, dem Eingang zur Bar. Mikael bestellt einen Whiskey. Er denkt über den Tag nach, über sein Gespräch mit Jennifer, die Ausstellung. Und über seinen Film.
    Sein Handy klingelt. Drangehen? Passt nicht zur gediegenen Atmosphäre der Bar. Verstohlen kuckt er auf das Display. Eine unbekannte Nummer. Die Neugier siegt.
    Halbtotale. Eine Bar. Dunkle Wände. Ledersessel. Ein von unten beleuchteter Tresen. Davor mit hellem Leder bezogene Hocker. An der Backsteinwand neben dem Tresen hängt ein präparierter Hirschkopf mit imposantem Geweih.
    Nahaufnahme. Mikael und Jennifer, ins Gespräch vertieft, dahinter der Barkeeper. Jazzmusik.
    Blende.
    Nahaufnahme. Der Barkeeper mischt einen Dry Manhattan.
    Ein Glas.
    Eiswürfel.
    Whiskey.
    Angostura.
    Trockener Vermouth.
    Zitronenschale.
    Als Geräuschkulisse: Das Klirren der ins Glas fallenden Eiswürfel, die gluckernden Geräusche beim Einschenken der verschiedenen Zutaten, das rhythmische Scheppern des metallenen Mixers. Wortfetzen von Mikael und Jennifer: »Freiheit«, »Überwachung«, »9/11«.
    Halbtotale. Der Barkeeper legt eine Serviette vor Jennifer auf den Tresen und stellt den Manhattan ab.
    Sie nickt dem Barkeeper zu und konzentriert sich wieder auf Mikael.
    Mikael: »Und dann rufst du: ›Go shopping! Go shopping!‹«
    Jennifer (probiert den Drink): »Okay. Und dann renne ich weiter.«
    Mikael: »Genau.«
    Jennifer nimmt noch einen Schluck.
    Mikael: »Bist du dabei?«
    Der Raum in Halbtotale. Mikael und Jennifer sind weiter ins Gespräch vertieft. Der Barkeeper schüttelt den Mixer. Als Geräuschkulisse: Klaviermusik.
    Nahaufnahme.
    Unter dem Tresen berühren sich zwei Knie, eins in Strumpfhosen, eins in Jeans.
    Blende.
    Mikael trinkt weiter Whiskey, Jennifer bestellt noch einen Manhattan. Das Gespräch springt von einem Thema zum nächsten. RFID-Chips und wie man damit den Weg der Produkte bis in die Haushalte der Konsumenten verfolgen kann. Handy-Ortung, GPS-Systeme und die Profile, die Firmen wie Google oder Apple über ihre Nutzer anlegen, indem sie Suchbegriffe analysieren oder Nutzerstandorte mit den von dort abgerufenen Seiten verknüpfen. Sie diskutieren über den Soldaten der Zukunft und die neue Ballistik-Applikation fürs iPhone, die Wetterdaten, Erdkrümmung und Waffeneigenschaften auswertet, um Scharfschützen das Zielen zu erleichtern. Sie sprechen über gezielte Tötungen mit Drohnen, über das Kriegsrecht und die Völkerrechtsverletzungen, die die USA begehen.
    Letztlich dreht sich ihr ganzes Gespräch nur um eine Frage: Verliert man seine Freiheit, wenn man sie mit allen Mitteln verteidigen will?
    Irgendwann hört Mikael ihr nicht mehr richtig zu, sondern driftet in seine eigene Gedankenwelt ab. Und je länger er Jennifer beim Reden zuschaut, desto mehr verändert sie seinen Film. An die Stelle der dokumentarischen Ebene – die Wachleute, die ihm das Filmen verbieten wollen und dabei von ihm gefilmt werden – tritt Jennifer. Jennifer geht durch die Stadt, sucht ikonische New Yorker Orte auf, immer im Blickfeld der Überwachungskameras. Mal läuft sie langsam, mal schnell, mal lasziv, mal verschüchtert. Dreht sich um und wirft einen Blick in die Kamera. Der Film ist immer noch eine sich wiederholende Performance, aber mit einem kurzen und einfachen Plot – ein Weg durch die Stadt, durch das Objektiv der Überwachungskameras.
    Mikael verfeinert in Gedanken seine Filmidee, neue Orte fallen ihm ein. Er schaut Jennifer auch noch verträumt in die Augen, als sie schon über die Eingrenzung der Bürgerrechte nach 9/11 referiert. Zu ihrer Empörung sind viele Bürger der USA damit einverstanden, genauso wie mit der von Rudolph Giuliani eingeführten Zero-Tolerance-Politik. »Erinnerst du dich noch an den Spruch, mit dem er die New Yorker nach 9/11 beruhigen wollte?«
    Ihre Frage reißt ihn aus seinen Gedanken. »Welchen Spruch«?
    »Show you’re not afraid. Go shopping!«.
    Mikael horcht auf. Keine Angst zeigen. Ihn durchzuckt es, denn in diesem Moment ist alles klar. Das ist der Film! Nicht bloß die Kameras und Jennifer, sondern genau dieser Satz. Diesen einen entscheidenden Satz wird Jennifer in die Kamera sprechen, singen, flüstern, schreien:
    »Show you’re not afraid. Go shopping!«
    Immer wieder. »Show you’re not afraid. Go shopping!« vor dem UN-Gebäude,

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