1WTC
Büro mit acht Kollegen, die mit Aufgaben rund um die Gebäude- und Baustellensicherheit betraut sind. Tom ist für die Planung des Serverzentrums zuständig. Mit der Zeit hat er sich zwar mit seiner Aufgabe angefreundet, immerhin ist das Serverzentrum das Gehirn eines Büroturms, aber insgeheim hofft er, bald einen größeren und sichtbareren Bauabschnitt des neuen World Trade Centers zugewiesen zu bekommen.
Die Serverräume liegen in den Kellergeschossen. Drei Etagen mit Computern und Kühlanlagen. Dicke Betonwände schützen gegen Erdbeben und Explosionen. Mehrere Notstromaggregate sichern die Energieversorgung. Eine Löschanlage, um bei einer Überhitzung der Rechner oder im Falle eines Kurzschlusses jedes Feuer im Keim zu ersticken. Druckflaschen mit Freon, einem flüssigen Löschmittel, das Brände durch Sauerstoffentzug erstickt. Freon ist auch für Menschen tödlich, aber die haben im Serverraum ohnehin nichts verloren. Ein engmaschiges Netz aus Bewegungsmeldern und Videokameras schützt vor dem physischen Eindringen von Datendieben. Die Installation der Überwachungsanlage hat Tom selbst beaufsichtigt, etliche Male war er dafür bereits auf der Baustelle.
Für die Planung gilt die höchste Geheimhaltungsstufe, Tom speichert abends alle Pläne passwortgeschützt auf dem zentralen Server von SOM. Seine Ausdrucke schließt er im Tresorraum ein. Keine Information über die Sicherheitsanlagen darf das Büro verlassen.
Parallel zur Arbeit bei SOM hat Tom sich ein paar Mal mit Sunner getroffen, um über das Paradies-Projekt zu sprechen. Tom hat einige Vorentwürfe angefertigt und sich mit grundsätzlichen Fragen beschäftigt. Denn obwohl er in Afghanistan und im Irak Kunstschätze sichern musste, hat er von islamischer Kultur, ihrer Kunst und Architektur eigentlich keine Ahnung. Ein paar Fortbildungskurse als Soldat, sonst nichts. Auch im Studium hat er zu diesem Thema weder Seminare belegt noch Bücher gelesen. Die Skizzen, die er im Irak gezeichnet hat, waren viel zu übertrieben, eignen sich nicht zu praktischen Umsetzung. Was bleibt, sind Gemeinplätze, Vorurteile, Medienbilder. Kopftücher, Minarette, Selbstmordattentäter.
Die Kunstgeschichte zeigt, dass Architekten alles entwerfen können. Nichts ist unmöglich: Wohnmaschinen, Reißbrettstädte, Weltraumstationen. Warum also nicht auch ein Paradies? Aber was soll es sein: ein Garten, ein Schlaraffenland oder doch eher ein Casino in Las Vegas?
Die Regale in Toms Büro füllen sich mit Modellen und Büchern. Die Wände sind voller Fotos, Landschaftsbilder und Zeichnungen. Daneben Zeitungsartikel über Selbstmordattentäter, Märtyrer, al-Qaida, die islamistische Al-Shabaab-Bewegung in Somalia.
»Ein Garten. Und natürlich Wasser. Viel Wasser.«
Die Architekturhistorikerin kommt aus der Türkei. Für zwei Semester ist sie als Gastprofessorin am Aga Khan Program for Islamic Architecture des MIT in Boston, einer Hochschule, die schon immer intensiv mit dem amerikanischen Militär zusammengearbeitet hat. Sunner hatte die dortige Forschungsabteilung kontaktiert, und die hat für Tom das Treffen arrangiert.
»Also, wenn Sie wirklich ihren PhD über islamische Architektur machen möchten, sind Sie bei uns genau richtig. Ach, Sie waren als Soldat schon im Nahen Osten? Dann haben Sie ja bestimmt bereits einige der spannendsten Orte gesehen. Aber auch außerhalb der arabischen Welt gibt es historische islamische Architektur, die Sie interessieren könnte. Zum Beispiel die Gärten in der Alhambra, wahrscheinlich der Inbegriff eines Paradiesgartens.«
Alhambra. Kleinod der arabischen Architektur in Spanien. Palast- und Gartenanlage aus dem 13./14. Jahrhundert. Unesco-Weltkulturerbe. Löwenfiguren. Innenhöfe. Säulengänge. Neben den eigentlichen Palastanlagen findet sich die Gartenanlage Generalife. Schatten, Wasser, Grün. Leichtigkeit und Eleganz. Blumenduft. Pflanzen, Brunnen und Wasserbecken sind die zentralen Motive der Gärten. Der Name Generalife stammt vom arabischen Djannat al-'arîf und bedeutet: das Paradies des Architekten.
»Der Garten. Das stimmt, der Garten ist ein wichtiges Bild für das islamische Paradies. Wie Milch und Honig. Einfach ein Ort, an dem sie sich wohl fühlen, keine Sorgen haben. Aber der Islam ist vielfältig. Da gibt es nicht die eine Paradies-Vorstellung. Und auch nicht den einen Weg dorthin. Ja, im heiligen Krieg, so legen das viele Gelehrte aus, darf man sich auch selbst umbringen, wenn es dem Sieg dient. Und dann kommt man
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