2 ½ Punkte Hoffnung
wette, sein Vater hat sich auch gewünscht, mit Giosué wegfliegen zu können, aber stattdessen erfand er dieses geniale Punktesystem, um Giosué abzulenken, um ihn an den echten Panzer denken zu lassen.
Problemlösung: Ich brauchte Ablenkung. Und eine Belohnung. Ich verdiente eine Belohnung für all die Stunden in diesem Zimmer. Einen Preis für das Stöhnen und Schreien meiner Mutter. Für »Dumme Göre«, »Rotzlöffel« und »du mieses Drecksstück«.
Und in dem Moment kam mir
die
Idee. Eine großartigeIdee. Ich lief zu meinem Schreibtisch und durchsuchte die Schubladen. Schließlich fand ich ein kleines Spiralbuch mit einem schwarzen Labradorwelpen vorne drauf. Auf die erste Seite schrieb ich
Hopes Punktesystem
. Nach einigem Durchstreichen, Ausradieren und Überschreiben kam Folgendes dabei heraus:
SG = schlechtes Gewissen
20–150 Punkte
Sc = Schnappen
25 Punkte
Sa = Sarkasmus
35 Punkte
VB = Vernichtender Blick
40 Punkte
Vs = Versagerin
50 Punkte
Dm = du musst
60 Punkte
Hl = hoffnungslos
75 Punkte
A= Auslachen
75 Punkte
Rl = Rotzlöffel
85 Punkte
Mdst = mieses Drecksstück
100 Punkte
SU = Ständiges Unterbrechen
100 Punkte
AS = Andere Schimpfwörter
150 Punkte
D= Dumm
200 Punkte
Jetzt brauchte ich noch einen Preis, aber keinen Panzer. Den würde ich mir noch überlegen müssen.
Alle Gedanken an Preise verflogen am nächsten Tag, als ich mich ins Tagebuch der Anne Frank vertiefte. Ich traute meinen Augen nicht, als ich las, welche Gemeinheiten die Leute im Versteck zu ihr sagten. Hört euch das mal an:
Bin ich denn wirklich so ungezogen, eigenwillig, störrisch, unbescheiden, dumm, faul usw., wie sie es oben behaupten? Na ja, ich weiß schon, dass ich viele Fehler und Mängel habe, aber sie übertreiben wirklich maßlos. Wenn du nur wüsstest, Kitty, wie ich manchmal bei diesen Schimpfkanonaden koche. Es wird wirklich nicht mehr lange dauern, bis meine angestaute Wut zum Ausbruch kommt.
Es war ein seltsamer Gedanke, dass vor langer Zeit jemand genauso empfunden hatte wie ich. Anne hätte ein Punktesystem gebraucht wie Giosués und meins. Stattdessen hatte sie ihre beste Freundin, Kitty, ihr Tagebuch, mit dem sie reden konnte. Ich taufte mein Notizbuch Penny. Habt ihr schon mal jemanden sagen hören: ›Einen Penny für deine Gedanken‹?
KAPITEL 9
Pläne ausführen
Am Sonntagnachmittag dachte ich, mein Arm würde mir abfallen, aber ich war noch nicht fertig: Ich wollte noch immer alle Kleider, die ich behalten würde, waschen und bügeln. Ich hatte Sachen entdeckt, die ich lange nicht mehr getragen hatte, die mir aber noch immer passten, zum Beispiel eine weiße Bluse mit Glitzersternen auf der Tasche und eine schwarze Jeans, die mir früher nicht gefallen hatte, die ich jetzt aber ziemlich klasse fand. Es machte Spaß, mir vorzustellen, wie ich zur Abwechslung mal etwas anderes trug.
Ich schaute ins Wohnzimmer, wo Mom und Tyler sich ein Footballspiel ansahen. »Habt ihr irgendwelche Kleiderbügel, die ihr nicht braucht?«
»In meinem Kleiderschrank«, sagte Mom, ohne den Blick vom Fernseher zu wenden.
»Du kannst meinen Kram bügeln.« Tyler warf mir seinen Schaumgummifootball zu.
Ich warf zurück, traf ihn am Kopf und streckte meine Zunge heraus. »Vergiss es.«
»Vorsicht, Missy«, warnte Mom.
»Wovor denn?« Kaum hatte ich das gesagt, wusste ich auch schon, dass ich zu weit gegangen war. WARUM hatte ich das getan??? Warum forderte ich sie heraus?!
»Hope Marie.« Feste Stimme, aber nicht laut. Puh. Nureine Warnung. Aber sie sah mich mit einem VERNICHTENDEN BLICK an. Jawohl. Meine ersten vierzig Punkte!
»Ich geh ja schon.« Ich tanzte geradezu durch den Flur zu ihrem Zimmer und grinste, als ob ich gerade einen Preis gewonnen hätte.
Als ich ihre Schlafzimmertür erreichte, war ich allerdings nicht mehr so gut drauf. Das alles war eigentlich ganz schön blöd. Warum wollte ich einen Wettstreit mit meiner Mom gewinnen? Das machte alles doch nur noch schlimmer! Aber dennoch juckte mir etwas in den Fingern, wollte heraus, wollte sie provozieren, und ich ließ es geschehen.
Problemlösung: Punkte, wenn ich nicht widerspreche.
Nwsp: 50 Punkte
. Was für eine Vorstellung! Wenn ich mir im Bus auf die Zunge gebissen hätte, wäre ich jetzt keine Wochenendgefangene.
Moms Schranktür stand offen wie ein Mund mit einem Gewirr aus halb zerkautem Essen. Schuhe flogen im Zimmer wild durcheinander, Kleider hingen verkehrt herum, ihr Bademantel, ihr Nachthemd und die Hose der letzten Woche
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