2 ½ Punkte Hoffnung
bei Herzmessmaschinen, an die Krankenhauspatienten angeschlossen sind.
Mr. Hudson war einwandfrei der Berggipfel. Er war hart, aber gerecht. Und witzig. Zu Halloween malte er sich einen Smiley-Kürbis auf die kahle Stelle auf seinem Kopf und schenkte uns orangefarbene Leuchtstäbe für das Sommerlager. Ich hatte noch nie so gebüffelt, denn ich wollte ganz oben auf seiner Liste der guten Vorbilder stehen, außerdem musste ich diese blöde Busgeschichte ausgleichen. Ich wollte kein einziges Fragezeichen neben meinem Namen sehen.
Ich nahm meinen Anne-Frank-Test mit der Supernote und legte ihn auf Tylers Bett. Zu einem Flieger gefaltet landete er wieder in meinen Zimmer und quer über die Tragflächen stand:
Stolz auf dich
. Unser anderer Buchtest war schwieriger, aber der Schlaumeier Brody und ich erreichten zusammen die höchste Punktzahl.
Noch ein Berggipfel: Anita und Ruthie. Sie schafften es, aus jeder sich bietenden Gelegenheit einen großartigen Ausverkaufstag zu kreieren – da gab es Regentagsangebote, Zwei-für-einen-Dienstage, Halloween-Überraschungen, alles mit passenden Schildern, Belohnungen und Dekorationen.Sie waren die besten Freundinnen, die ich je gesehen hatte. Natürlich hatten sie viel Zeit gehabt, um so weit zu kommen, sie kannten sich ja seit dem Kindergarten. Da ihre Männer beide gestorben waren und ihre Kinder längst erwachsen und aus dem Haus, waren sie zusammengezogen und hatten So Gut Wie Neu eröffnet. Ich überlegte, ob ich auch jemals eine Freundin fürs Leben haben würde, mit der ich über alte Erinnerungen lachen, die ich umarmen und auf die Wange küssen, mit der ich ohne jeglichen Grund Karten und Blumen austauschen könnte.
Ein weiterer Berggipfel: lila Wanderstiefel, jetzt getragen mit dicken Wollsocken, die sogar in der Pause meine Füße warm hielten.
Zwischen den Gipfeln kamen die Täler – keine tiefen, schroffen Abgründe zum Hinunterstürzen, sondern eher quengelnde, nervende, irritierende Tiefen. Zum Beispiel: Mülltag, jeden zweiten Mittwoch …
»Vergiss nicht den …« Moms Stimme platzt ins Badezimmer und verklingt dann. Das Bad ist am Ende des Flurs, und sie schreit von der Küchentür aus. Ich drehe den Hahn zu und nehme die Zahnbürste aus dem Mund. »Was?«, brülle ich zurück und sehe, wie meine Augenbrauen sich im Spiegel heben. »Heute ist Mülltag«, schreit sie, diesmal lauter. »Jeden zweiten Mittwoch. Kannst du dir das nicht einmal merken?!«
Ich vernehme die Stimme, aber es ist wie mit den Vorschriften in der Schulkantine – irgendwann hörst du die tausendste Erinnerung nicht mehr.
»H OPE , DU DUMMES D RECKSSTÜCK , ANTWORTE GEFÄLLIGST !« Die Worte hallen in meinen Ohren wider.
»Ja, ich weiß.« Ich sollte vermutlich auch lauter rufen,aber ich habe all meine Schrei-Energie verloren. Alles kommt nur als mittleres Gemurmel heraus. Ich drehe den Hahn wieder auf und säubere meine Zahnbürste.
»Hope Marie, schaff jetzt sofort deinen blöden Arsch hier runter und bring den Scheißmüll raus.«
Ich seufze und schiebe meinen Kopf aus der Tür. Sie steht mitten im Flur, hat die Hände auf die Hüften gestützt und presst die Lippen aufeinander.
»Ich putz mir nur noch schnell die Zähne fertig.« Die Worte hinken heraus, liefern eine Entschuldigung.
»Ich weiß, du wirst es vergessen.« Sie schreit jetzt nicht mehr, aber ihre Worte sind genauso laut.
»Tu ich nicht. Versprochen.«
Mülltag. Jeder zweite Mittwoch.
Noch ein Tief: UNTERBRECHEN. Nehmen wir zum Beispiel das Essen zu Thanksgiving. Moms Freundin Lydia Bishop kam herüber, und das war gut, denn sie ist nett. Ich reichte ihr das Kartoffelpüree und sie fragte, wie es mir ginge und was es Neues gäbe, aber als ich den Mund zum Antworten öffnete, waren Moms Worte schneller: »Wenn sie die sechste Klasse schafft, dann hat sie Glück gehabt.«
Lydia lächelte mich an und unternahm noch einen Versuch. »Was machst du so in deiner Freizeit?« Meine Lippen öffneten sich, aber wieder war Moms Stimme vor mir da: »Hope verbringt viel zuviel Zeit in diesem Second-Hand-Laden. Noch jemand mehr Truthahn?« Gespräch zu Ende. Es ging weiter mit Kürbisauflaufrezepten und Weihnachtsverkäufen, und ich kehrte stumm zu meinem Preiselbeersalat zurück.
Und etwas Neues machte sich jetzt in meinem Leben breit: Kopfschmerzen. Ich glaube, sie hatten an dem Tag in Mrs. Piersmas Büro angefangen. Als ich mich auf die Pfefferminzbonbonskonzentrierte, spürte ich einen Schmerz in meinem Kiefer, der zu
Weitere Kostenlose Bücher