2 ½ Punkte Hoffnung
hier und da ein wenig getrockneter Klitschkram von Dr. McKillips Abdrücken. Ich hatte in einen Klumpen zäher Masse beißen müssen, die sicher für immer an meinen Zähnen haften würde. Aber es war trotzdem schön in seinem Sprechzimmer gewesen. Als Mom ins Wartezimmer gegangen war, war er richtig redselig geworden und hatte davon erzählt,dass er in den Frühlingsferien mit seiner Familie nach Disneyland fahren wollte. Er fragte, ob ich je in Disneyland gewesen sei. Ich schüttelte den Kopf. Er redete weiter, als ob wir ein ganz tolles Gespräch führten, obwohl ich nur durch das zähe Zeug grunzte oder mit dem Kopf nickte.
Als er mich ins Wartezimmer brachte, legte er mir die Hand auf die Schulter und sagte: »Dein Mundstück wird in einer Woche fertig sein.« Er drückte kurz zu. »Also durchhalten, Hope.«
Jetzt öffnete ich die Augen langsam und sah hoch zu den Säumen und Manschetten, Knöpfen und Reißverschlüssen meiner hängenden Kleider. Der Anblick hatte sich verändert. Nach Weihnachten hatte ich alles noch einmal durchgesehen, auch Tylers Sachen, und eine weitere Ladung zu So Gut Wie Neu geschleppt. Unsere Kleider gingen gut weg, und für meine Gutscheinanteile und das Bügelgeld von Anita hatte ich zwei Paar Jeans, einen Pullover, noch ein Paar Stiefel (damit ich die lila Stiefel für das Sommerlager aufbewahren konnte) und eine Gänseblümchenhalskette mit passenden Ohrringen gekauft. Und außerdem – ganz besonders wichtig – die gelbe Skijacke für den halben Preis im Januar-Schlussverkauf.
Ich ließ den Blick von meinem Bett zu meinem Bücherregal wandern, das jetzt zu einem richtigen Lebensmittelladen geworden war. Wenn ich von So Gut Wie Neu nach Hause ging, schaute ich immer bei Safeway vorbei und kaufte eine Tüte achteckige Kräcker, Müsliriegel, Schmierkäse, rotes Lakritz oder grüne Oliven. Ich hatte bei einem Gebrauchtwarenladen sogar einen kleinen Wasserkocher gefunden und konnte deshalb heiße Schokolade oder Hühnersuppe mit Nudeln kochen.
Das untere Fach war für meine Bibliothek reserviert.
Bisher war Das Tagebuch der Anne Frank mein einziges Buch. Wir hatten unsere Holocausteinheit vor einem Monat beendet, aber ich hatte das Buch noch nicht fertig gelesen. Mr. Hudson hatte gesagt, wir könnten es noch behalten, wenn wir die zweite Hälfte lesen wollten. Zuerst hatte ich mich beeilen und zum Ende kommen wollen, aber jetzt wurde ich immer langsamer. Ich stellte mir vor, dass, wenn ich es nicht fertig läse, die Nazis das ›Versteck im Hinterhaus‹ nicht finden, nicht alle festnehmen und in die Konzentrationslager verschleppen würden. Anne Frank würde nicht sterben, wenn ich ihr Tagebuch nicht beendete.
Ich drückte die Schildkröte an mich, schmiegte mich wieder an mein Kissen, und als das goldene Lampenlicht weich auf meine Augen fiel, konnte ich Dr. McKillip sehen, seine Hand auf meiner Schulter. Ich spürte seine sanfte Berührung und hörte seine Engelsstimme. Ich ließ die Tränen kommen. Sie quollen aus meinen Augenwinkeln, wanderten in meine Haare und zu meinen Ohren hinunter und kitzelten, als sie kalt wurden. Ich wischte sie mit Schildkrötes Fuß ab. Ich wünschte, ich hätte einen Vater wie Dr. McKillip. Wenn Mom nach Kalifornien umzog, könnte ich vielleicht in Dr. McKillips Praxis ziehen. Ich würde jede Menge Zahnbürsten und kleine Zahnpastaproben bekommen, und dazu ein Bett auf diesem riesigen Zahnarztstuhl.
KAPITEL 18
Problem benannt, Problem gebannt.
Mrs. Nelson, die Konfliktberaterin an unserer Schule, stand vor der Klasse und streifte sich Papiertüten-Patty über die Hand. Die Handpuppe war frisch bemalt worden, mit buntstiftgelben Haaren, schwarzen Augen und einem lächelnden roten Mund. Ein großes lila Herz bedeckte ihre braune Brust.
»Wisst ihr noch, in der ersten Klasse? Wie ihr im Kreis auf dem Boden gesessen und Papiertüten-Patty herumgereicht habt?« Mrs. Nelsons schwarze Augen wanderten von einem Gesicht zum nächsten, ihr rosa Mund war ernst.
»Ja«, sagte Noelle. »Wir haben sie immer zerknüllt, wenn wir etwas gesagt haben, das ihre Gefühle verletzte.«
»Zum Beispiel was?«, fragte Mrs. Nelson und ließ Pattys Kopf zu diesen Worten nicken.
»Schwachkopf«, sagte Colin Davis.
Mrs. Nelson packte Pattys lila Herz und presste es zusammen.
»Pickelgesicht«, sagte Annette.
Wieder verdrehte und zerknüllte Mrs. Nelson den Körper der Puppe.
»Versagerin«, »Fettsack«, »Arsch« kamen die Schimpfwörter und immer wurde dazu
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