Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
2 ½ Punkte Hoffnung

2 ½ Punkte Hoffnung

Titel: 2 ½ Punkte Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gretchen Olson
Vom Netzwerk:
mich, während meine Ohren glühten und prickelten. Er wollte wissen, wie es
mir
ging? Einem Kind, das er vielleichteinmal im Jahr sah? Meine Augen wurden trüb und meine Kehle schnürte sich dermaßen zusammen, dass ich nicht glaubte, überhaupt sprechen zu können.
    »Hope Marie«, kamen die Worte meiner Mutter. »Antworte Dr. McKillip.«
    Er warf ihr einen scharfen Blick zu, dann wurden seine Augen wieder sanft, als er in meine blickte. »Hast du in der Schule besonderen Stress?«
    »Nur den üblichen Kram«, brachte ich heraus.
    »Sie kann
unmöglich
gestresst sein«, sagte Mom. »Sie geht doch erst in die sechste Klasse. Sie ist einfach zu empfindlich. Wenn hier eine Grund zum Zähneknirschen hat, dann ja wohl ich. Ich kann mich schon gar nicht mehr erinnern, wann ich einmal nicht gestresst war.«
    Dr. McKillip runzelte die Stirn und schaute aus dem Fenster. »Mrs. Elliot«, sagte er, während er den kahlen Baum und die daran hängenden Meisenringe draußen musterte. »Ich werde mir Ihre Zähne sehr gern ansehen, wenn Sie Knirschprobleme haben. Sie können ja einen Termin machen, ehe Sie gehen.« Dann drehte er den Kopf und sprach wieder zu mir: »In der Schule ist also alles in Ordnung?«
    »Ja.«
    Er rutschte auf seinem Stuhl hin und her. »Und wenn du nicht in der Schule bist – macht dir da irgendwas zu schaffen?«
    »Es gibt rein gar nichts, das ihr zu schaffen macht«, antwortete Mom, die jetzt mitten im Türrahmen stand. »Wie gesagt, sie ist erst elf.«
    Dr. McKillip streichelte meinen Arm und erhob sich mit einem Seufzer. »Ich sehe viele gestresste Elfjährige, Mrs. Elliot. Sie haben vielleicht nicht die gleichen Sorgenwie Sie oder ich, aber Kinder können sich über viele Dinge entsetzliche Sorgen machen. Vielleicht sollten Sie sich Hope zuliebe mal darum kümmern.«
    Mom wollte schon etwas entgegneten, dann aber machte sie den Mund zu und blickte zu Boden.
    Dr. McKillip ging zum Waschbecken, drehte das Wasser auf und fing an, in einer kleinen Schüssel etwas zu mischen. »Ich mache jetzt einen Abdruck von Hopes Zähnen und lasse für sie ein Mundstück anfertigen, das sie dann nachts tragen kann, um ihre Zähne zu schützen und deren Nerven abzuschirmen. Wir brauchen einige Minuten dafür, Mrs. Elliot. Sie können es sich so lange mit einer Tasse Tee oder Kaffee im Wartezimmer gemütlich machen.«

    Mom schwieg, als wir nach Hause gingen. Sie war in den vergangenen Wochen überhaupt ziemlich still gewesen. »Nach-Weihnachten-Blues«, nannte sie das. »Zurück in die alte Routine. Dieselbe alte, dieselbe alte.« Ich ertappte sie dabei, wie sie gedankenverloren aus dem Küchenfenster schaute, während die Zutaten für das Abendessen auf der Anrichte warteten. Oder sie vergaß die Zeit und putzte sich zehn Minuten lang die Zähne.
    »Ich habe diese Winter in Oregon ja so satt«, sagte sie eines Morgens, als der Regen über die Fensterscheibe lief. »Regen, Regen, Regen.« Sie fischte ein Stück Brot aus dem Toaster und beschmierte es mit Butter. »Was gäbe ich nicht alles für ein bisschen Sonne.« Und dann sprach sie über einen Umzug. Nach Südkalifornien, Arizona. New Mexico. Irgendwohin, egal wo, wo der Himmel blau war und die Sonne heiß.
    Na, sie könnte ihr sonniges Kalifornien haben und mich einfach zu Hause lassen. Nie im Leben würde ich von Mr. Hudson, Anita und Ruthie oder meinem großen Schrank wegziehen. Und genau den steuerte ich an, als wir vom Zahnarzt nach Hause kamen. Ich knipste die Lampe an, schloss die Tür, hob die Schildkröte hoch und rollte mich ein. Mein ganzer Körper schmolz, meine Beine wurden schlaff wie zu lang gekochte Nudeln, und meine Kopfschmerzen gingen zurück, als meine Augen an den Schrankwänden entlangwanderten. Jetzt waren sie bedeckt mit Zeitschriftenbildern von Sonnenblumen und Wasserfällen, von Möwen, die über einem Meer flogen, von einem Weihnachtsbaum, an dem weiße Kerzen funkelten. Ich sah den Text meiner Lieblingslieder, meine alte Sternenkarte, meine A+ -Holocaustzeichnung, das Zeitungsbild von Gabriela Feliciano, die einen Korb wirft, und ein Zitat von Anne Frank:
     
    Solange es das noch gibt, und ich es erleben darf, diesen Sonnenschein, diesen Himmel, an dem keine Wolke ist, so lange kann ich nicht traurig sein.
     
    Wenn ich mich in meinem Schrankbett zusammenrollte, kam ich mir vor wie ein Bär, der in seiner dunklen, sicheren Höhle Winterschlaf hält. Ich schloss die Augen und fuhr mit der Zunge über meine Zähne. Es klebte noch immer

Weitere Kostenlose Bücher