2 ½ Punkte Hoffnung
zerdrückt und zerknittert.
»Dumme Kuh«, rief ich und mein eigenes Herz presste sich zusammen und bat Patty stumm um Entschuldigung.
Inzwischen konnte man keine Farbe mehr sehen, nur einen braunen Klumpen, wie eine alte Brötchentüte, die gleich in den Müll geworfen wird.
»Dann haben wir versucht, alles wieder glattzustreichen«, fuhr Mrs. Nelson fort, »indem wir nette Dinge gesagt haben, wie klug, bewundernswert, cool.« Mrs. Nelsons Finger massierten Pattys Herz, Kopf und Körper, konnten aber die Knitter nicht vollständig entfernen. »Was war am Ende übrig?«
»Schleim«, antwortete Brody.
»Richtig«, sagte Mrs. Nelson, zog sich Patty von der Hand und setzte sich auf Mr. Hudsons Pult. »Verletzende Wörter sind wie Schnecken, die unsere Herzen mit Schleim verkleben. Was sonst?«
»Narben.« Ich spürte, wie mein Mund sich bewegte, und hörte das Wort, als ob es von selbst hinausgeklettert wäre.
Mrs. Nelson sah mich einen Moment lang an, dann holte sie tief Luft und stemmte die Hände auf die Hüften. »Ihr in der sechsten Klasse könnt jetzt verletzende, schleimende, Narben machende Wörter das nennen, was sie wirklich sind.« Sie verstummte. Alle waren jetzt besonders still und beugten sich vor, um das Geheimnis der sechsten Klasse nicht zu verpassen.
»Misshandlung. Das ist verbale Misshandlung.«
Jetzt durchbohrte ihre rechte Hand die Luft über unseren Köpfen. »Verbale Misshandlung zerstört ebensoviel wie körperliche Misshandlung – manchmal sogar noch mehr. Fünfundzwanzig bis dreißig positive Kommentare sind nötig, um die Wirkung einer verletzenden Bemerkung zu überwinden. Die Narben, die verbale Misshandlung hinterlässt, sind ebenso tief wie körperliche Narben – wenn nicht noch tiefer.«
Während diese deutlichen Äußerungen noch in der Luft hingen, versicherte sie uns mit behutsameren Worten, dass es wichtig sei, jeder Sache ihren Namen zu geben. »Problem benannt, Problem gebannt. Das ist so, wie wenn ihr einen Zaun um ein wildes Tier zieht, damit ihr es in Ruhe beobachten könnt.« Dann gab sie uns Wörter, die uns in einer Missbrauchssituation helfen könnten.
Ich fühle- Wörter
. Wörter, die um eine Änderung bitten.
Eine Stunde später stand ich vor So Gut Wie Neu und starrte mein Spiegelbild zwischen grünen Kleeblättern an. Ich konnte aber nicht an den St. Patricks Day denken, da ich noch immer Mrs. Nelsons Wort im Kopf hatte. Misshandlung. Warum hatte sie bis zur sechsten Klasse gewartet, um uns das zu sagen? Auch kleine Kinder müssten wissen, dass verletzende Worte nicht nur schleimig sind und Narben hinterlassen, sondern eine
Misshandlung
sind. Ich hatte Mrs. Nelson immer gern gemocht, aber jetzt krampfte mein Magen sich vor Wut zusammen. Sie hätte es mir früher sagen müssen!
Meine Magenkrämpfe wurden noch schlimmer, als die Worte meiner Mutter durch meinen Kopf schossen:
blödes Drecksstück, dumm wie Brot, hoffnungslos faul.
Ich konnte nicht glauben, dass sie mir etwas antat, das einen offiziellen Namen hatte wie Windpocken oder Grippe. Ich konnte schon einen Arzt sagen hören: »Das ist ein schwerer Fall von verbaler Misshandlung.«
Jetzt, wo es einen Namen hatte, kam es mir wirklicher vor, ernster, wichtiger. Machte es auf eine komische Weise auch mich wichtiger? Ihr wisst schon, wie der Junge, dernach einem Skiunfall nach Hause kommt, sein Bein ist in Gips, er humpelt auf Krücken herum. Zuerst ist er berühmt, er tut allen leid und sie sind ein wenig eifersüchtig auf die viele Aufmerksamkeit, die coolen Krücken, darauf, dass immer irgendwer seine Bücher und sein Tablett in der Kantine trägt. Aber nach einer Weile ist es nicht mehr cool, weil es noch immer wehtut und er nicht Basketball spielen oder das Bein nasswerden lassen darf.
Zitternd öffnete ich die Tür zu So Gut Wie Neu . Die Glocke bimmelte.
»Hallo, Süße«, begrüßte mich Anita. »Jetzt kommen alle Sachen mit lila Schildern dran.« Sie schob einen Armvoll Winterjacken und Pullover zum Gestell mit dem Hinweis
50 % ermäßigt.
»Die hatten ihre drei Monate Ruhm«, sagte sie und hängte sie wieder auf.
»Denk an den Frühling«, sagte Ruthie und ließ unverkaufte Kleider in einen riesigen Wäschekorb auf Rädern fallen. Ein Mann und eine Frau von irgendeiner Kirche holten jeden Samstag die übrig gebliebenen Sachen ab und schickten sie an Orte, die man in den Nachrichten sieht, an denen es Überschwemmungen und Hurrikans und Krieg gegeben hat. Ich hielt Ausschau nach diesen
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