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2 ½ Punkte Hoffnung

2 ½ Punkte Hoffnung

Titel: 2 ½ Punkte Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gretchen Olson
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die Rückenlehne eines Stuhls. »Und wo ich doch Bonuspunkte kriege, könnte ich, äh …« Ich unterbrach mich, dann ließ ich die Wörter aus mir herausschießen: »Könnte ich zum Sommerlager fahren?«
    Sie starrte mich an; ihre Hände waren gefüllt mit Toilettenpapier und Servietten. »Denk mal nach, Hope. Was habe ich dir gesagt?«
    Ich musste nicht lange ›denk mal nach‹. Das sagte mir alles, was ich zu wissen brauchte. Aber es war zu spät.
    »Antworte schon, Hope. Was habe ich gesagt?«
    Mein Mund rettete mein Gehirn. »Du hast gesagt, ich soll dich gar nicht erst fragen.«

    An diesem Abend saß ich mit Papier, Bleistift und rosa Klebezetteln an meinem Schreibtisch. Ich starrte Das Tagebuch der Anne Frank an. Wie hatte ich nur den Mut aufbringen können, mich freiwillig für ein Referat zu melden? Ich war sogar bei So Gut Wie Neu vorbeigegangen, um mir einige Dinge auszuleihen. Anita und Ruthie waren um mich herumgeschwirrt, hatten mich nach meinem Leben und Mom gefragt und gesagt, die Sache mit dem Kleid tue ihnen ja so leid. Sie hofften mit mir, dass die Bonuspunkte Mom dazu bringen würden, sich die Sache mit dem Laden und dem Sommerlager noch einmal zu überlegen.
    Tief durchatmen. Du kannst es schaffen.
Kontrolle, Hope, Kontrolle.
    Ich fing an, in Annes Tagebuch zu blättern, ich erinnerte mich an Namen und Gesichter, an strenge Zeitpläne, karge Mahlzeiten, heimliche Besuche.
    Ich las einige Teile noch einmal, kritzelte Notizen auf die Klebezettel und markierte Seiten.
    Dann zeichnete ich einen Stern, malte ihn gelb an und schnitt ihn aus.
    In dieser Nacht träumte ich wieder von dem Gute-Nacht-Mond-Hasen. Diesmal versuchte ich, ihn zu retten. »Oh!«, sagte er, als ich auf Zehenspitzen ins Zimmer kam. »Still!«, schrie die alte Dame im Schaukelstuhl. Der Hase stellte sich schlafend, aber als sie einmal nicht hinsah, flüsterte er: »Rette die Maus!«, und zeigte auf das Bücherregal. Ich deutete auf ihn. Kopfschüttelnd zeigte er wieder energisch auf die Maus, die sich aus dem oberen Regalfach beugte. Ich schlich mich hinter den Schaukelstuhl der alten Dame, während die Kätzchen eifrig mit Wollknäueln kämpften. Mit raschem Griff hatte ich die Maus in der Tasche und war aus der Tür.

    »Noch fünfzehn Minuten, Hope, bis zu deinem Referat«, sagte Mr. Hudson.
    Ich zog meine Jeans auf der Mädchentoilette aus und holte ein grauweißgestreiftes Kleid von So Gut Wie
Neu aus der Tüte. Es war zu groß, reichte mir über die Knie. Es war perfekt. Ich nahm den Gürtel, der aussah wie eine Kordel, und band ihn mir um die Taille. Die Schuhe passten nicht zueinander, einer war schwarz und einer braun.
    Ich schob meinen linken Ärmel hoch. Mit blauem Filzstift schrieb ich # 8726 auf meinen Arm. Ich steckte mir den gelben Papierstern an und blickte in den Spiegel.
    Mein Herz krampfte sich zusammen.
    Ich starrte das müde Spiegelbild an, das triste gestreifte Kleid, den gelben Stern. Ich schwankte zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Zäunen mit Stacheldraht und Schaukeln auf dem Schulhof, zwischen brüllenden Nazis und dem singenden Mr. Hudson, zwischen Klinkerschornsteinen und Osterglocken. Kam ich oder ging ich? War ich in Eola Hills oder in Auschwitz? Angst und Erleichterung durchfluteten mich gleichzeitig. Ich zitterte, weil mir eine Idee kam.
    Ich zog die Tür auf und schaute auf den Flur hinaus. Noelle kam mit einem Stapel Papiere aus dem Büro. »Noelle!«, flüsterte ich ziemlich laut.
    Sie blieb stehen. »Was ist los?«
    »Könntest du mir eine Schere bringen?«
    Sie runzelte die Stirn. »Glaub schon.«
    Als sie zurückkam, blieb sie in der halb offenen Tür stehen und starrte mein Kleid an. »Meine Güte. Hope, was machst du denn?«
    »Das wirst du schon sehen.«
    Sie reichte mir die Schere und ging.
    Ich kehrte zum Spiegel zurück, warf einen letzten Blick hinein und packte dann dicht über meiner Kopfhaut eine Haarsträhne.
    Als ich mir einen grauen Schal eng um den Kopf gewickelt und meine Kleider in der Tüte versteckt hatte, ging ich zurück in die Klasse. Meine Kehle war wie ausgedörrt und meine Hände waren feucht, als ich die Tür öffnete. Ich hatte schreckliche Angst davor, hineinzugehen.
    Mr. Hudson schaute von seinem Pult auf. Alle anderen glotzten.
    »Halloween ist aber erst im Oktober«, höhnte Peter.
    »Halt die Klappe, Peter«, sagte Brody.
    Aber was mich fast zurück in die Toilette gejagt hätte, waren das Flüstern und Kichern.
    »Das reicht jetzt.« Mr. Hudson

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