Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
20 - Im Reiche des silbernen Löwen I

20 - Im Reiche des silbernen Löwen I

Titel: 20 - Im Reiche des silbernen Löwen I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
derselbe. Hat Barkh auch ein Geheimnis?“
    „Ob sein erster Besitzer ihm eins gegeben hat, das kann ich natürlich nicht wissen; kein Mensch wird dem Dieb seines Pferdes das Geheimnis desselben nachsenden; aber ich habe dem Rappen ein heimliches Zeichen eingeübt. Ich bin selbstverständlich der einzige, der es kennt; selbst mein Sohn Kara Ben Halef und mein Weib Hanneh, der ich das Glück meines Daseins und das Dasein meines Glücks verdanke, wissen nichts davon; dir aber, Sihdi, will ich es sagen, denn ich bin überzeugt, daß du es nie verraten wirst. Wenn wir miteinander reiten, kann leicht der Fall eintreten, daß du zu unserer Rettung das Geheimnis wissen mußt. Es besteht nämlich darin, daß ich mich in den Bügel hebe und dreimal hintereinander sehr stark niese. Kannst du dir das merken, Sihdi?“
    „Das ist doch leicht zu merken“, lachte ich. „Lieber Halef du bleibst doch stets derselbe!“
    „Warum? Wiefern? Wie meinst du das? Worüber lachst du so?“
    „Darüber daß du selbst dem ernstesten Ding eine lustige Seite abzugewinnen weißt.“
    „Ernst? Lustig?“
    „Ja. Das Geheimnis eines Pferdes ist doch eine sehr ernste Sache, denn man wendet es nur dann an, wenn man sich in großer Gefahr oder gar in Todesnot befindet; dann strengt das Tier alle seine Kräfte an und fliegt in größter Schnelligkeit dahin, bis es zusammenbricht. Nun sehe ich dich jetzt im Geist von Feinden umgeben oder von ihnen verfolgt; die Kugeln pfeifen; die Speere sausen; die Messer blinken und alle Hände strecken sich nach dir aus. Da fängst du an, zu niesen, und –“
    „Schweig, Effendi!“ unterbrach er mich. „Es ist ganz gleich, was man in einer solchen Gefahr zu seiner Rettung tut, wenn es nur Hilfe bringt. Wenn ich durch dreimaliges Niesen dem Tod entgehe, so ist das wohl besser für mich, als wenn ich durch zehnmaliges Husten das Leben verliere! Wie du darüber lachen kannst, das ist mir unbegreiflich!“
    „So will ich mich jetzt des Ernstes befleißigen und dich fragen: Hast du dem Nedjedi eine Sure angewöhnt, die du ihm abends in das Ohr flüsterst?“
    „Nein.“
    „Warum nicht?“
    „O Sihdi, verlange nicht zu viel von mir! Wer einen ganzen Beduinenstamm zu regieren hat, der findet keine Zeit, sich Wort für Wort eine ganze Sure des Koran einzuprägen. Und als aufrichtiger Mann will ich dir sagen, daß in Beziehung auf das Auswendiglernen mein Kopf einem Topf gleicht, der keinen Boden hat: Schütte noch so viel Wasser hinein, es läuft doch unten alles wieder hinaus. Das sind doch nur die Folgen davon, daß ich einen offenen Kopf besitze.“
    „Wie schade! Mein Rih war gewöhnt, daß ich bei ihm schlief. Sein Hals war mein Kopfkissen, und ehe ich einschlief, sagte ich ihm seine Sure leise in das Ohr. Er war gewohnt, nur dem, der dieses tat, zu gehorchen. Nun hat wohl auch Assil Ben Rih keine Sure?“
    „Sihdi, wie kannst du fragen! Der Nachkomme deines herrlichen Rih mußte unbedingt eine haben. Kennst du die Sure Abu Laheb?“
    „Ja. Es ist die Hundertundelfte.“
    „Sage sie!“
    „Sie lautet: Untergehen sollen die Hände des Abu Laheb; untergehen soll er selbst. Sein Vermögen und alles, was er sich erworben hat, soll ihm nichts helfen. Zum Verbrennen wird er in das flammende Feuer kommen und mit ihm sein Weib, welches Holz herbeischleppen muß, und an ihrem Hals soll ein Seil hängen, welches aus den Fasern eines Palmbaums geflochten ist.“
    „Ja, das ist die Sure Abu Laheb, welche du deinem Pferd des Abends in das Ohr zu flüstern hast.“
    „Warum grad diese?“
    „Weil sie so kurz ist. Ich habe sie auswendig lernen müssen, um sie dem Rappen vorzusagen. Eine längere wäre wieder unten aus dem Topf herausgelaufen. Dein Kopf ist nicht so fein und offen wie der meinige; darum bleibt bei dir alles stecken. Doch tröste dich, Sihdi; es kann nicht jedermann die Vorzüge besitzen, mit denen Allah mich ausgerüstet hat! Du wirst von heute an bei Assil Ben Rih schlafen, wie du bei seinem Vater geschlafen hast. Soll ich dir auch noch sein Geheimnis des Herunterwerfens sagen?“
    „Hat er eins? Das wäre mir sehr willkommen!“
    „Assil und Barkh, beide haben eins. Ich habe es ihnen so heimlich andressiert, daß außer mir kein Mensch davon etwas weiß.“
    „So teil es mir mit!“
    „Es ist für beide Pferde gleich, weil die Dressur dadurch vereinfacht wurde. Wenn du zweimal das Wort ‚Litaht‘ (Herunter!) rufst und dazwischen einen scharfen Pfiff hören lassest, wird sofort jeder

Weitere Kostenlose Bücher