20 - Im Reiche des silbernen Löwen I
bei mir gar nicht mehr, als eine Lüge gelten kann. Du weißt ganz genau, daß ich keinen andern Menschen als nur dich meine. Und nun höre, was ich dir jetzt sage! Schau dieses Messer in meiner Hand, und sieh, daß Hadschi Halef das seinige auch gezogen hat. Leben gegen Leben, Blut für Blut! Das ist das Gesetz der Wüste; ich will aber barmherzig gegen euch sein. Ich sehe, daß du ein Feigling bist, und mit einem Weib rechne ich nicht. Wenn ihr mir gehorcht, wird euch nichts geschehen, und ihr seid morgen wieder frei; weigert ihr euch aber, so bekommt ihr unsre Klingen augenblicklich zu fühlen. Steht jetzt beide auf!“
Der Ton, in welchem ich diesen Befehl aussprach, war ein solcher, daß der Mann sich schnell erhob; die Frau folgte diesem Beispiel. Sie hatte bis jetzt kein Wort gesagt und ließ auch fernerhin nicht eine Silbe hören.
„Stellt euch mit den Rücken aneinander, und laßt die Arme herunterhängen!“
Sie gehorchten auch jetzt, doch nicht so schnell, wie Halef es wünschte. Er schob sie kräftig zusammen und sagte:
„Macht nicht so langsam, denn wir haben keine Zeit! Bleibt so stehen und rührt euch nicht, sonst stoße ich euch das Messer augenblicklich in die Herzen! Ich bin Hadschi Halef Omar, der oberste Scheik der Haddedihn, und habe keine Lust, euch lange zu bitten, uns schnell zu gehorchen.“
Er setzte dem Mann das Messer auf die Brust; da jammerte dieser:
„Nicht stechen, ja nicht stechen! Wir gehorchen gern!“
„Feiger Kerl! Die Niederträchtigkeit und der Verrat sind aber immer feig! Hier, das gehört dir, weiter nichts!“
Er spie ihn an. Ich entrollte den Lasso, den wir von oben bis unten so fest um die beiden wanden, daß sie kein Glied bewegen konnten und ein Bündel bildeten welches wir erst auf das Floß niederlegten und dann am Rand desselben in der Weise anbanden, daß ihnen nur eine Umdrehung nach der Wasserseite möglich war. Wenn sie nicht still lagen, fielen sie in den Fluß und mußten ertrinken.
„So, jetzt seid ihr uns sicher“, sagte ich. „Bleibt ihr ruhig liegen, und verhaltet ihr euch still, so binden wir euch wieder los und lassen euch laufen. Ruft ihr aber etwa um Hilfe oder werdet irgendwie so laut, daß euch die Perser hören, so werfen wir euch in das Wasser!“
„Ja, das tun wir unbedingt!“ bekräftigte der kleine Hadschi. „So widerliche Geschöpfe, wie ihr seid, müssen unbedingt ersäuft und von den Saratin (Krebsen) gefressen werden, damit ihre Seelen, wenn man sie kocht, in den Schalen vor Schande erröten! Also gebt ja keinen Laut von euch, sonst ist's um euch geschehen!“
„Wir werden still sein, ganz still!“ versicherte der Mann.
„Das rate ich euch, denn wenn ihr nicht gehorcht, so kenne ich kein Erbarmen. Danke Allah, daß du jetzt mit der Gefährtin deiner Tage und deiner Schlechtigkeiten im schönsten Harem liegst, welches sich für euch denken läßt! Seid klug und weise, und genießt in tiefster Schweigsamkeit die Behaglichkeiten eurer gegenwärtigen Wohnung bis wir wiederkommen. Haltet treu zusammen, und zankt euch nicht, denn der Streit zwischen Mann und Weib ermüdet die Zungen und beschleunigt die Vermehrung der Magenkrankheiten! Ich verlasse euch mit Wehmut und hoffe, euch fröhlich wiederzusehen!“
Wir sprangen wieder an das Ufer und kehrten nach der Hütte zurück, wo wir grad noch zur rechten Zeit ankamen, um das fast erlöschte Feuer wieder anzufachen. Wir verhängten zunächst die schadhafte Stelle in der Wand mit Halefs Haïk, damit niemand uns von draußen sehen könne, und dann erzählte ich dem Hadschi, was ich bei den Persern gehört hatte.
„Also hereinkommen werden sie?“ fragte er. „Um uns im Schlaf zu überfallen? Meinst du, daß wir uns schlafend stellen, Effendi?“
„Nein; das könnte gefährlich für uns werden. Sie kommen nicht zugleich, sondern einer nach dem andern. Sowie sie kommen, werden sie von uns empfangen.“
„Aber mit dem bekannten, freundlichen Ahlan wasahlan (Willkommen), welches in deinen Fäusten wohnt. Nicht wahr, Sihdi?“
„Ja.“
„Du gibst ihnen die Hiebe, und ich binde sie. Ich habe wegen einer etwaigen Reparatur des Floßes Riemen mitgenommen; wir haben also, was wir brauchen, um die Glieder unserer persischen Freunde mit Innigkeit und Liebe zu umschlingen. O Effendi, du hattest recht, als du sagtest, daß es besser sei, der Gefahr entgegen als ihr aus dem Weg zu gehen. Ich freue mich von ganzem Herzen auf den Augenblick, an welchem die Köpfe der Mörder
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