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20 - Im Reiche des silbernen Löwen I

20 - Im Reiche des silbernen Löwen I

Titel: 20 - Im Reiche des silbernen Löwen I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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beseligenden Überzeugung, daß man in der Vaterhand Gottes ruhe.“
    „Diese Hand kenne ich nicht. Mir ist weder die Ruhe in Gott noch irgendeine andere geboten worden. Wer und was ich war, brauchst du nicht zu wissen; ich weiß es selbst kaum mehr; wenigstens mag ich nicht gern daran denken. Es war ein altes, adeliges, reichbegütertes Geschlecht, dem ich entstamme. Ich habe den Namen desselben abgelegt, um vor Nachstellungen sicher zu sein, und mich Dozorca genannt, weil ich mein Vaterland zu sehr liebe, als daß ich einen nichtpolnischen Namen führen möchte. Unsere Verhältnisse, meine Erziehung und noch vieles andere gehört nicht hierher; ich will nur erwähnen, daß ich zum Offizier ausgebildet wurde, keinen einzigen gläubigen Verwandten oder Lehrer hatte und meinen einzigen Lebenszweck in der Befreiung des Vaterlandes aus dem Joch der Unterdrückung erkannte. Ich war in Paris, um mit Gleichgesinnten die Erhebung unsers Volkes vorzubereiten; Mieroslawski nannte mich seinen Freund. Ich wurde nach Deutschland geschickt und ging dann nach Rußland, hatte an der verunglückten Überrumpelung von Posen teilgenommen, war bei dem Versuch von Siedlce zugegen und stand in Krakau dem Diktator Tyssowski nahe. In Galizien rotteten sich unsere eigenen Leute unter Jakob Szela zusammen; sie trugen Brand, Plünderung und Mord in die Höfe der mit uns verbündeten Edelleute; wir wateten im Blut. Überall geschlagen, gaben wir alle Hoffnung auf. Wo sollte ich hin? Ich war überall geächtet. In Preußen, in Österreich, in Rußland drohte mir der Henker; mein Todesurteil war gefällt; Steckbriefe verfolgten mich allerorts. Meine Besitzungen waren konfisziert; ich nahm den Bettelsack und schlug mich durch nach der Türkei, wo ich unter meinem jetzigen Namen im Heer Aufnahme fand. Es galt, mir eine Stellung, eine Zukunft zu schaffen, und da mir unter damaligen und meinen Verhältnissen dies als Christ nicht möglich war, trat ich zum Islam über.“
    „Zum Islam?“ fragte ich erschrocken. „Ah, so bist du – – – ein Re – – –“
    „Ein Renegat. Sprich das Wort nur immer aus! Was willst du? Ich war nie ein frommer, überzeugter Christ gewesen, und mein Übertritt wurde mit einer höheren Charge belohnt; das war es, was ich wollte.“
    „Und heut wunderst du dich darüber, daß dein Leben ein verfehltes ist? Sag aufrichtig: Wolltest du nur die Freiheit deines Volkes, oder gedachtest du, nach dem etwaigen Gelingen des Aufstandes mit einer hervorragenden Stellung oder Rolle bedacht zu werden?“
    „Beides.“
    „So ist das die vorhin erwähnte giftige Frucht, welche du dir damals mit Gewalt angeeignet hast; du bist an ihr zugrunde gegangen. Und dann der Übertritt zum Islam! Es ist mir unbegreiflich, wie – – –“
    „Bitte, laß mich erzählen!“ unterbrach er mich. „Wenn es dir zur Beruhigung dienen kann, will ich dir sagen, daß ich zwar ein sehr lauer Christ war, aber auch kein eifriger Moslem geworden bin. Dieser Wechsel war nichts als Mittel zum Zweck. Ob ich Gott oder Allah sage, Christus oder Mohammed, das bleibt sich gleich, so dachte ich und so habe ich bisher gedacht. Wenn es wirklich einen Gott gibt, so sind alle Menschen seine Kinder. Diese Ansicht gab mir die innere Ruhe, welcher ich bedurfte, um vorwärtszustreben. Ich hatte Glück und Erfolg, nicht nur als Offizier, sondern auch als Mensch. Ich stand in Beirut, dessen Besatzung zur Arabistan Ordüssi (Division von Arabistan) gehörte. Dort lernte ich einen persischen Handelsmann kennen, welcher Wohlgefallen an mir fand. Ich verkehrte täglich in seinem Haus, wo nach iranischer Sitte die Haremsgesetze nicht so streng wie bei den Sunniten gehalten wurden. Er hatte ein einziges Kind, eine Tochter; sie war nach orientalischer Ausdrucksweise schön wie die Morgenröte und sorgfältiger erzogen als sunnitische Haremstöchter. Wir liebten uns, und der Vater gab sie mir zum Weib, obgleich ich nicht Schiit war.“
    „Daß ihr Vater einer war, hat dein Gewissen nicht beschwert?“ fragte ich.
    „Nicht im geringsten. Der Sprung vom Christen zum Mohammedaner war ja viel größer als der kleine Griff des Sunniten nach einer schiitischen Frau. Warum sollte ich mir Vorwürfe darüber machen? Ich hatte meine Wahl nicht zu bereuen. Die Vergangenheit mit allen ihren Wünschen war für mich eine abgetane Sache, und ich lebte nur für meine Familie und meine militärische Zukunft. Mein Harem, wenn ich die Ehe mit nur einer Frau so nennen darf, bot

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