20 - Im Reiche des silbernen Löwen I
fest, der sich am leichtesten im Libanon und in Syrien Luft machen konnte, wo englische und französische Interessen unvereinbar mit türkischen zusammenstießen. Man begann zu schüren. Als die Westmächte den Sultan zwangen, in dem berühmten Hatt-i-Humajun auch allen andersgläubigen Untertanen dieselben Rechte wie den Mohammedanern zuzusprechen, ging eine tiefe Erbitterung durch das Land, deren erstes Zeichen die Ermordung des englischen und französischen Konsuls in Dschidda, der Hafenstadt des heiligen Mekka, war, wo man bekanntlich mohammedanischer als Mohammed selber ist. Die hierauf erfolgende Maßregelung durch die beiden Mächte vergrößerte den heimlich fressenden Groll. Hierzu kam, daß die Befugnisse der Pforte hinsichtlich ihrer Vasallenstaaten immer mehr beschnitten und endlich fast völlig aufgehoben wurden. In Serbien setzte man Kara Georgiewitsch, welcher dem Sultan ergeben war, ab und holte die Obrenowitsch zurück; in der Moldau und der Walachei wurde Cusa zum Fürsten gewählt. Durch diese Ereignisse wurde die Erbitterung der Moslemim gegen die Christen so gesteigert, daß der Ausbruch gar nicht zu vermeiden war; er geschah zunächst im Libanon. In Damaskus fand eine heimliche Beratung zwischen dem dortigen Pascha Ahmed, dem Scheik ul Islam (Oberhaupt der mohammedanischen Geistlichkeit) Abdallah el Halebi und Kurschid Pascha von Beirut statt, deren Resultat der Scheik ul Islam in die Worte zusammenfaßte: ‚Der Hatt-i-Humajun, welcher gegen Geist und Buchstaben des Koran verstößt, kann nur mit der Aufreizung des Volkes zum Christenmord beantwortet werden.‘ Kurschid Pascha brachte diesen Beschluß als erster zur Ausführung; er gab bei seinem Ausmarsch aus Beirut durch Kanonenschüsse das Zeichen zum Gemetzel. Die Drusen erhoben sich zum Vernichtungskampf gegen die Christen.“
Als der Erzähler bis hierher gekommen war, unterbrach ich ihn:
„Ehe du weitersprichst, bitte ich dich, mir zu sagen, ob du in der Beurteilung dieser Kämpfe auf seiten der Christen oder Mohammedaner stehst.“
„Ich nehme keinerlei Partei“, antwortete er; „es wurde auf beiden Seiten mehr oder weniger gesündigt. Wenn du gerecht bist, mußt du zugegeben, daß die Maroniten in sittlicher Beziehung tief unter den Drusen gestanden und ihnen Grund zur Verachtung und oftmals auch Veranlassung zur Rache gegeben haben. Auch wirst du nicht leugnen können, daß es Christen waren, welche Saida, das alte Sidon, damals stürmen wollten. Die blutigsten Kämpfe aber gab es zu Hasbeya, am südlichen Fuß des Antilibanon, und in der Stadt Rascheya, welche nördlich davon an den Quellflüssen des Jordan liegt. Dort wurden die Maroniten zu Tausenden niedergemacht. Noch weiter nördlich liegt am Fuß des Libanon das Städtchen Sachleh, dessen Bewohner sich stets als die tapfersten Krieger der Maroniten ausgegeben hatten. Sie lebten in Feindschaft mit den Drusen und waren auf diejenigen ihrer Satzungen stolz, durch welche sie sich von den römischen Katholiken unterschieden. Als sie von dem Ausbruch des Kampfs hörten feuerten sie ihre Flintenkugeln gegen den Himmel und beteuerten: ‚Und wenn Gott selbst gegen uns zöge, er könnte Sachleh nicht erobern!‘ Die Strafe folgte dieser Vermessenheit auf dem Fuß. Die maronitischen Hilfsvölker, welche ihnen beistehen sollten, kehrten unterwegs aus Feigheit um, während die arabischen Beduinen der Ebene, die Drusen des Libanon und Hauran, die Arnauten und Kurden von Damaskus und die Metualis von Baalbek mit Macht gegen die Stadt vordrangen, aus deren brennenden Häusern sich die Verteidiger nur zum Teil durch die Flucht retten konnten. Ganz entgegen andern Behauptungen, kann ich versichern, daß die Drusen sich hier zwar schonungslos tapfer, sonst aber brav benommen haben, denn als sie sahen, daß ihre Verbündeten sich über die Wehrlosen herwarfen, machten sie diesem Greuel durch die Drohung: ‚Schont die Frauen und Kinder; wer ein Weib anrührt, wird erschossen!‘ ein schnelles Ende. Hierauf folgte die Erstürmung der mitten im drusischen Gebirge gelegenen Christenstadt Deïr el Kamr (Kloster des Mondes), welchen Namen sie von einem früheren Kloster der Heiligen Jungfrau hat, die in Syrien gewöhnlich mit der Mondsichel zu den Füßen abgebildet wird. Leider hatten sich auch die Bewohner dieses Ortes oft gegen die Mohammedaner herausfordernd verhalten und die in die Stadt kommenden Drusen beleidigt oder gar mißhandelt. Als ein Scheik derselben sich in nicht einmal großer
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