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20 - Im Reiche des silbernen Löwen I

20 - Im Reiche des silbernen Löwen I

Titel: 20 - Im Reiche des silbernen Löwen I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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ja morgen schon fort, und es kam nur darauf an, ob die von dem Bimbaschi zu erwartenden Mitteilungen vielleicht derartige seien, daß sie uns Ursache gaben, noch länger zu bleiben.
    Der Abend brach nach kurzer Dämmerung herein, und die am Tag herrschende trockene Hitze verwandelte sich in eine so drückende Schwüle, daß wir den Tabak und die Pfeifen nahmen, um auf das Dach zu steigen. Wir drei hatten noch nicht lange oben gesessen, so kam der Onbaschi nachgeächzt und setzte sich mit Halefs Hilfe auf eine besonders für ihn hergerichtete Unterlage nieder. Der einzige Tschibuk des Hauses ging zwischen seinem Herrn und ihm in kurzen Pausen hin und her.
    Das Firmament strahlte so kurz nach dem Neumond in seinem vollsten Glanz; die Abendluft bewegte die Palmwedel, deren zeitweiliges Geflüster die einzige Unterbrechung der in dieser abgelegenen Gegend herrschenden tiefen Stille war. Das gab die richtige Märchen- oder überhaupt Erzählerstimmung.
    Hierher nach Bagdad verlegt das Volk den Schauplatz jener Erzählungen, welche unter dem Titel Alif laila wa leila (Tausendundeine Nacht) viele, viele Millionen Zuhörer und Leser gefunden haben. Sehr wahrscheinlich ist die Quelle dieser Märchen im Hezar efzane (Tausend Erzählungen), einer Sammlung des Persers Rasti, zu suchen. Sie haben für das Studium des Orients einen hohen Wert, obwohl man sich sehr hüten muß, das Buch jedermann in die Hand zu geben. Diese Märchen sind unübertroffen, wenn es sich darum handelt das Leben, die Sitten, die Anschauungen, das ganze Denken und Fühlen des Ostens kennenzulernen. Nirgends wird die ungestüme Tapferkeit und edle Ritterlichkeit des Orientalen, sein abenteuerlicher Sinn, die Glut seines Hasses und seiner Liebe, die Geldsucht seiner Beamten, die Verschlagenheit des sogenannten schwachen Geschlechts, die Pracht des Reichtums und die nackte Unverfrorenheit der Armut so treu geschildert wie in diesen Erzählungen, mit denen die ebenso schöne wie kühne und phantasiereiche Schehersad gegen den König Scheherban um ihr Leben kämpfte. Waren es Erinnerungen aus einer dieser von ihr durchwachten Nächte, welche jetzt flüsternd durch die sanft gebogenen Fiederblätter gingen?
    Wenn es so war, ihr Zauber ging an mir verloren, denn meine Gedanken gehörten dem Mann neben mir, dessen Leben jedenfalls ein nicht gewöhnliches gewesen war und von dem ich ahnte, daß ihm Lasten auferlegt worden seien, an denen er noch jetzt in seinem Alter tragen müsse. Was hatte ihn aus dem Vaterland getrieben, und was hielt ihn bis heute von demselben fern? Ich konnte es mir denken – das Wort Revolution ist eines der schlimmsten Wörter. Warum aber vergrub er sich auch hier in tiefe Einsamkeit?
    „Effendi, glaubst du an Gott?“
    Ich erschrak fast, als diese seine Frage so plötzlich und unvorbereitet durch die tiefe Stille klang.
    „Ja“, antwortete ich nur mit diesem einen Worte.
    „Ich nicht!“
    Welch schweren Druck dieses ‚Ich nicht‘ hatte! Es war mir allerdings aufgefallen, daß er und sein Diener weder vor noch nach der Mahlzeit gebetet hatten. Im Orient betet man mehr als im Abendland.
    „Warum nicht?“ fragte ich ihn nach einer kleinen Weile.
    „Weil ich nicht an einen Gott glauben kann, welcher mir nichts als Ungerechtigkeiten erwiesen hat.“
    „Bist du der Mann dazu, eine solche Anklage gegen den, welcher die Allgerechtigkeit selbst ist, zu erheben?“
    „Wäre er die Allgerechtigkeit, so säße ich nicht hier, sondern daheim im Schloß meiner Väter!“
    „Vielleicht wäre es richtiger, wenn du sagtest: Hätte ich seine Gerechtigkeit verstanden, oder ihr doch wenigstens vertraut, so wäre mir nicht genommen worden, was ich verloren habe. Das Auge des Menschen reicht nicht weit; es vermag nicht, den Ratschluß des Allwissenden zu durchdringen, welcher vor Ewigkeiten sieht, was nach Ewigkeiten geschehen wird.“
    „Hätte er mein Leben gesehen, so konnte er ihm, als der Allmächtige, einen anderen Verlauf, einen anderen Inhalt geben!“
    „Sind wir Kinder Gottes oder seine Sklaven? Wenn er jeden Augenblick deines Lebens, jeden einzelnen deiner Gedanken und Entschlüsse zu bestimmen hätte, wer und was wärest du dann? Ein totes, willenloses Spielzeug seiner Hand. Aber wahrlich, Gott spielt nicht! Das Leben ist kein Spiel und der Mensch kein hölzerner Kegel, den jede Kugel zufällig umwerfen oder ebenso zufällig stehen lassen kann.“
    „Aber was will Gott, wenn es einen gibt, mit uns? Warum fallen wir, ohne zu wissen,

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