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20 - Im Reiche des silbernen Löwen I

20 - Im Reiche des silbernen Löwen I

Titel: 20 - Im Reiche des silbernen Löwen I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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auch wieder nicht – – – wieder nicht! Ich kann mir keinen Gott denken, der die ewige Weisheit und Liebe ist und doch den Menschen, sein Geschöpf, sein Kind, in das Elend sinken läßt.“
    „Wie nun, wenn das Geschöpf dem Schöpfer nicht gehorcht und, weil es sich klüger dünkt als er, den Weg zum Elend wählt?“
    „So dürfte Gott dies nicht zulassen! Er müßte den Menschen zwingen!“
    „Dann hätte dieser Mensch keinen Willen, keine Freiheit, keine Selbstbestimmung, keinen Wert; er brauchte keine Seele, keinen Geist; er wäre ein totes Spielzeug; ja, noch mehr: er wäre nichts. Du siehst, daß du dich im Kreise bewegst; wir sind wieder beim Spielzeug beim Nichts angekommen. Aber sag mir einmal aufrichtig: Bist du wirklich – – – nichts?“
    „Vielleicht!“
    „Dann wären alle deine Gedanken, Schlüsse und Vorwürfe überflüssig. Ein Nichts ist nichts, tut nichts, denkt nichts, fühlt nichts, braucht nichts, will nichts; also schweig!!!“
    Da schlug er die Arme übereinander, wendete sich mir voll zu, sah mich starr an und sagte:
    „Ich weiß nicht, entgleitest du mit deiner Logik meiner Hand oder ich der deinigen. Ich beginne, Angst vor dir zu bekommen.“
    „So fühlst du dich schon halb besiegt!“
    „Noch nicht! Deine Logik scheint zwar siegreich zu sein, aber ich kann dich schlagen, indem ich durch Tatsachen den Sieg auf meine Seite bringe.“
    „Das glaube ich nicht. Gott ist das absolute. Ich; wer ihn leugnet, vernichtet sich selbst; eine Lächerlichkeit, denn wer leugnet, muß doch existieren. Deine Tatsachen machen mich nicht bange. Ich kenne sie nicht, bin aber überzeugt, daß ich, wären sie mir bekannt, deinen Unglauben grad durch sie besiegen würde.“
    „Du sollst sie kennenlernen, wenigstens einige von ihnen. Ich werde dir erzählen – – – keine lange Geschichte, keinen ermüdenden Lebenslauf; ich bin selbst schon müde genug; du sollst es nicht auch noch durch mich werden.“
    Wieviel ganz ungläubige, wieviel zweifelnde, wieviel suchende Seelen hatte ich schon kennengelernt, daheim und auch draußen in der Ferne! Welche Freude, wenn es mir gelungen war, eine derselben auf die ewig suchende Liebe aufmerksam zu machen, welche neunundneunzig Schafe in der Hürde läßt, um das verlorene hundertste in der Wüste zu finden! Würde mir das auch jetzt bei diesem Mann gelingen, der sich bereits vor meiner Logik zu fürchten begann? Und doch, was ist die Logik des scharfen, aber kalten, berechnenden Verstandes gegen die alles bewältigende, Himmel und Erde beherrschende Logik der Liebe! Der Verstand des Bimbaschi war unfähig, Gott vom Thron zu stoßen; aber sein Herz war tot und leer; es mußte Leben und Inhalt hinein. Das war es, wonach er sich gesehnt hatte; aber woher sollte ihm dieses Leben kommen? Womit war die Leere auszufüllen? Es war hohe Zeit für ihn. Seine halt- und energielose Nachsicht gegen den Diener bewies, daß er bereits kindisch zu werden begann, was jedenfalls nicht Folge seines Alters sein konnte, welches ich auf sechzig Jahre schätzte. Er mußte aufgerüttelt werden. Wenn man den Glauben an Gott verloren hat, gehört Energie dazu, ihn wieder zu finden und fürs ganze Leben festzuhalten; einem kindischen Menschen aber bleibt er verloren.
    „Sprichst du Polnisch?“ fragte er mich jetzt.
    „Nein.“
    „Aber du kennst die unglückliche Geschichte Polens?“
    „Ja.“
    „Die Geschichte des unglücklichen Landes und seiner unglücklichen Bewohner! Ich gehörte und gehöre noch jetzt zu diesen Bemitleidenswerten.“
    „Bitte, sprich nicht so! In diesem Sinne soll und darf ein Mensch niemals bemitleidenswert sein. Das Mitleid ist nur für gewisse Fälle löblich; in andern Fällen beleidigt es den, auf den es fällt. Es gibt eine Art von Unglück, welches man mit edlem Selbstbewußtsein zu tragen hat; Mitleid ist da Demütigung. Überhaupt ist meine Ansicht über den landläufigen Begriff ‚Unglück‘ eine ganz andere als die deinige. Für mich, der ich mich von Gott geleitet weiß, kann es kein Unglück geben.“
    „So bist du eben glücklich. Oder gibt es für dich auch kein Glück?“
    „Nein, was man nämlich gewöhnlich Glück zu nennen pflegt und mit einem ‚günstigen Zufall‘ identisch ist. In höherem Sinne gibt es freilich ein Glück, aber auch nur eines, welches ich aber die irdische Seligkeit nenne. Dieses Glück ist nichts Momentanes; es ist nicht zu messen und zu berechnen; es hat keine Grenzen; es besteht in der

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