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20.000 Meilen unter den Meeren

20.000 Meilen unter den Meeren

Titel: 20.000 Meilen unter den Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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der zuvor beobachteten Stundenwinkel unsere Länge. Nach der schweigenden Prozedur wandte er sich an mich : »Professor Aronnax, wir befinden uns unter 137° 15’ westlicher Länge …«
    »Von wo aus?«, fragte ich, in der Hoffnung, der Meridian, den er benutzte, würde mir einen Rückschluss auf seine Nationalität geben.
    »Ganz wie Sie wollen, Monsieur. Ich habe hier nämlich verschiedene Uhren, die auf die Meridiane von Paris, Greenwich und Washington eingestellt sind. Ihnen zu Ehren soll vom Pariser Meridian aus gemessen werden: 137° 17’ westlicher Länge, bei 30° 7’ nördlicher Breite. Wir sind rund 200 sm vom japanischen Festland entfernt. Heute ist der 8.11.1867. Es ist Mittag. Unsere Reise beginnt jetzt und hier, Professor Aronnax. Ich habe den Kurs Ostnordost ausgegeben. Hier sind Karten, auf denen Sie die Route verfolgen können. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte!«
    Er drehte mir mit einem Ruck den Rücken zu und verließ den Salon. Ich blieb allein zurück, wie betäubt von der Gegenwart und dem Auftreten dieses Mannes, dessen Geheimnis ich nicht ergründen konnte. Ob ich erfahren würde, woher der Mann kam, der sich rühmte, keiner Nation anzugehören? Ob ich den Grund seines Hasses auf die menschliche Gesellschaft, der ihn zu einer Rächergestalt machte, jemals erfahren würde? War er einer von den verkannten Gelehrten, von den Genies, die das Leben misshandelt, ein neuer Galilei, oder ein Mann der Wissenschaft wie Maury, dem politische Umwälzungen die Karriere zerstörten? Ich wusste es nicht. Mich, den das Schicksal an Bord seines Schiffes brachte, hatte er kalt, aber gastlich empfangen. Er ergriff nie die Hand, die ich ihm bot. Und er streckte seine nicht aus.
    Ich beugte mich, noch in diese Fragen versunken, über die große Seekarte, die über den Tisch gebreitet lag. Ich suchte beiläufig nach dem Punkt, an dem unsere Reise ihren Anfang nahm, und ich entdeckte, dass er mitten im Schwarzen Fluss lag.
    Auch das Meer hat seine Flüsse, wie die Kontinente. Der bekannteste Strom der Ozeane ist der Golfstrom und einer der übrigen ist dieser Schwarze Fluss, der aus dem Golf von Bengalen kommt und sich bis zu den Aleuten im nördlichen Pazifik hinzieht, tiefdunkel indigoblau, womit er sich deutlich von den umgebenden Gewässern abhebt. Mit seiner Strömung treiben indische Kampferbäume nördlich und auch die Nautilus folgte den Fluten. Wir waren in diesem Augenblick ein Teil der großen blauschwarzen Bewegung, die sich in den Weiten des Stillen Ozeans verlor, und das Gefühl der Auflösung im Unendlichen begann, sich wieder in mir auszubreiten … da erschienen Ned Land und Conseil in der Tür des Salons.
    Sie konnten beide den Anblick zuerst nicht fassen.
    »Bin ich hier im Museum von Quebec oder wo bin ich?«, fragte der Kanadier misstrauisch.
    »Sie befinden sich auf der Nautilus 50 m unter dem Meeresspiegel«, sagte ich.
    Conseil hatte bereits die Naturschaukästen an den Wänden ausgemacht und stürzte in Wonnen des Klassifizierens. Während er einer Cyproea madagascariensis die richtige Umgebung angedeihen ließ (nämlich: Familie der Buccinoiden, Klasse der Gasteropoden), trat Ned Land dicht zu mir heran und fragte rasch: »Wo ist er?«
    »Nemo? Ich weiß nicht.«
    »Was hat er vor? Wo kommt er her?«
    »Ich weiß nicht, woher er kommt. Jedenfalls sind wir zu einer Untersee-Weltreise aufgebrochen. Haben Sie denn Näheres herausbekommen?«
    »Nichts gesehen, nichts gehört, verflucht noch mal! Nicht mal die Mannschaft! Können Sie nicht ungefähr abschätzen, wie viel Mann an Bord sind? Man muss sich doch irgendwie darauf einrichten.«
    »Ich weiß es nicht. Und es wäre mir auch angenehm, wenn Sie den Gedanken aufgäben, sich der Nautilus zu bemächtigen. Dieses Fahrzeug ist ein Meisterwerk der modernen Technik und ich wäre ärmer, wenn ich es nicht gesehen hätte.«
    »Was nennen Sie denn sehen?«, rief Ned Land erbost. »Man reist ja völlig blind in diesem Gefängnis …«
    Da ging das Licht aus. Es wurde stockfinster im Salon. Conseil brach sein Gemurmel mitten in einem Gattungsnamen ab. Ich stand bewegungslos und hörte deutlich den Kanadier neben mir schnaufen. Plötzlich hörten wir ein leise schabendes Geräusch.
    »Das ist das Ende«, flüsterte Ned Land.
    Da wurde es im Salon langsam wieder hell, und zwar drang das Licht jetzt durch zwei seitliche Öffnungen. Wir erkannten sofort, was vorgegangen war: Von draußen leuchtete elektrisch erhelltes Meerwasser, von dem uns

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