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20.000 Meilen unter den Meeren

20.000 Meilen unter den Meeren

Titel: 20.000 Meilen unter den Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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da draußen ist die Freiheit.«
    »Freund Conseil«, rief Ned Land, »jetzt führen Sie mir die Fische in der Freiheit vor!«
    »Tut mir leid, damit kann ich nicht dienen. Ich bin Spezialist. Was Sie verlangen, ist Aufgabe von Monsieur!«
    Jetzt hatte der Kanadier seine große Stunde und zeigte uns einen Trupp chinesischer Hornfische mit plattem Körper und einem Stachel auf dem Rücken. Sie umschwammen die Nautilus und ließen die vier Stacheln vibrieren, die ihnen zu beiden Seiten des Körpers wie Borsten herausstehen. Ihr Leib ist oben grau, unten weiß gefärbt und trägt dort goldene Flecken, die in den Lichtwellen aufglänzen. Rochen schwammen zwischen ihnen, unter denen ich zu meiner großen Freude auch einen der seltenen chinesischen Spezies entdeckte.
    Ein ganzes Heer von Meeresbewohnern gab uns die nächsten zwei Stunden lang das Geleit, Ned Land stellte sie vor, Conseil ordnete sie ein und ich freute mich an den schönen Formen und den munteren Bewegungen der Tiere. Niemals hatte ich so etwas zuvor erleben dürfen: diese Tiere frei und in ihrem Element zu beobachten.
    Plötzlich wurde es wieder hell im Salon und die eisernen Wandplatten schoben sich vor die Fenster. Das wunderbare Schauspiel war zu Ende. Wir saßen noch eine Zeit lang wie benommen beieinander, dann erhoben wir uns, um in unsere Kabinen zu gehen, da der Kapitän Nemo nicht erschien. Der Kompass zeigte noch immer Ostnordost, das Manometer maß 5 at, was 50 m Tiefe bedeutete, und das elektrische Log gab eine Geschwindigkeit von 15 kn an. Wir verließen den Salon. Ich verbrachte den Abend mit Lesen, Schreiben, Nachdenken.

10. Kapitel
    Ich erwachte erst spät am nächsten Tag, kleidete mich an und ging in den Salon. Er war leer. Ich widmete meine Aufmerksamkeit zunächst den Meerestieren in den Schaukästen, aber schon nach kurzer Zeit merkte ich, dass mich die Muscheln und Seegurken gar nicht interessierten. Ich wartete, aber ich wartete den ganzen Tag vergebens. Kapitän Nemo erschien nicht.
    Am nächsten Tag, dem 10.11., die gleiche Stille und die gleiche Verlassenheit. Weder der Kapitän noch sonst ein Mitglied der Besatzung ließen sich blicken. Ich suchte die Gesellschaft von Ned Land und Conseil und wir sprachen über das seltsame Verhalten unserer Gastgeber. War Nemo krank? Welches Geheimnis steckte hinter seiner Abwesenheit? Wir fragten uns, ob diese plötzliche Entfernung bedeutete, dass der seltsame Mann unser Feind geworden sei. Aber das konnte nicht sein, denn wir fanden pünktlich unsere reichen Mahlzeiten vor, wie von unsichtbaren Händen zubereitet und serviert. Am Abend dieses Tages entschloss ich mich, ein exaktes Tagebuch dieser Reise zu beginnen. Papier fand ich im Schreibtisch meiner Kabine. Es war aus Seegras gemacht.
    Am nächsten Morgen roch ich beim Erwachen die frische Meeresluft und wusste, dass wir an der Oberfläche schwammen. Ich kleidete mich rasch an und stieg die Leiter zur Plattform hinauf. Es war erst sechs Uhr morgens, die Witterung kühl, der Himmel bedeckt und grau das Meer. An seiner Oberfläche herrschte kaum eine Bewegung. Ich stand dort oben auf dem Rücken der Nautilus und hoffte, der Kapitän würde sich zeigen. Allmählich zerstreute die höher steigende Sonne den Morgennebel und setzte die Wasseroberfläche in Flammen. Die hoch ziehenden Wolkenfetzen färbten sich fein schattiert und ganz hoch im Himmel standen weiße Lämmerwölkchen, die einen windigen Tag ankündigten.
    Während ich noch diesem Sonnenaufgang zusah, kam jemand hinter mir die Leiter empor. Ich wandte mich um, wollte den Kapitän begrüßen, aber da sah ich, dass es jener untersetzte vollbärtige »Provenzale« war, den wir schon am ersten Tag in Begleitung des Kapitäns gesehen hatten. Er beachtete mich überhaupt nicht, trat an den Rand der Plattform und suchte ruhig und konzentriert mit einem starken Fernglas den Horizont ab. Dann trat er an die Einstiegsluke und rief einen Satz hinunter, den ich genau wiedergebe, weil ich ihn an vielen Tagen noch hörte : »Nautron respoc lorni virch.«
    Ich weiß nicht, was das heißt.
    Am nächsten Tag lag die Nautilus noch immer an der Oberfläche, ich stieg wieder früh am Morgen zur Plattform hinauf und erlebte den gleichen Vorgang wie am Tag zuvor. Das wiederholte sich noch fünfmal, fünf Tage lang, während derer sich Kapitän Nemo nicht sehen ließ. Am 16.11. endlich bekam ich ein Zeichen. Auf dem Tisch in meiner Kabine lag ein Brief. Ich öffnete ihn und las :

    16. November

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