20.000 Meilen unter den Meeren
1867
Herrn
Prof. Pierre Aronnax
an Bord der Nautilus
Kapitän Nemo gibt sich die Ehre
Herrn Professor Aronnax
zu einer Jagdpartie einzuladen, die morgen früh in den Wäldern der Insel Crespo stattfinden soll. Er hofft, dass der Herr Professor und seine Gefährten nicht verhindert sind.
Der Kommandant
N
Also geht er doch mal an Land!, dachte ich. Ich fand die Insel auf der Karte unter 32° 40’ nördl. Breite und 167° 50’ westl. Länge: ein verlorener kleiner Felsen mitten im nördlichen Pazifik, den der Kapitän Crespo 1801 entdeckt hatte. Aber wenn er schon an Land geht, dachte ich, sucht er sich wenigstens die einsamste Stelle der Erde dazu aus.
Als ich am folgenden Morgen in den Salon kam, war Nemo schon da und schien auf mich gewartet zu haben. Er sprach mit keinem Wort über seine achttägige Abwesenheit, deshalb fragte ich ihn auch nicht weiter danach. Wir unterhielten uns über die gute Abwechslung, welche die bevorstehende Jagd bringen sollte, und ich konnte mir nicht verkneifen, ihn auf die Inkonsequenz hinzuweisen, die er in seinem Verhalten zeigte.
»Sie haben mit der Erde gebrochen und doch besitzen Sie Wälder auf der Insel Crespo?«
»Meine Wälder, Herr Professor, brauchen weder das Licht noch die Wärme der Sonne, es gibt in ihnen keine Tiger, Panther oder Löwen. Ich bin der einzige Mensch, der sie kennt. Sie liegen nicht auf dem Lande. Sie stehen unter dem Meer.«
»Unterseeische Waldungen?«
»Genau.«
»Und dahin wollen Sie mich führen?«
»Trockenen Fußes.«
»Auf die Jagd?«
»Auf die Jagd.«
»Mit der Büchse in der Hand?«
»Mit der Büchse in der Hand.«
Er ließ mir zu weiteren Fragen keine Zeit, sondern bat mich zum Frühstück.
»Essen Sie tüchtig«, sagte er, »wir kommen an keinem Gasthaus vorbei. Sie müssen bis heute Abend durchhalten können.«
Er selbst aß wenig und sah mich dabei schräg von der Seite an.
»Sie haben mich vorhin für verrückt gehalten«, sagte er plötzlich.
»Kapitän, ich bitte Sie …«
»Natürlich haben Sie das. Sie haben sich gesagt: Ein Mensch muss doch atmen. Woher soll er unter Wasser die Luft bekommen? Vom Schiff aus? Dann hängt er an einer Leitung und kann sich kaum bewegen, kann jedenfalls nicht auf die Jagd gehen. Dabei müssten Sie die technischen Möglichkeiten, die uns das Spazierengehen unter Wasser erlauben, eigentlich kennen. Zwei Landsleute von Ihnen, Rouquayrol und Denayroue, haben ein Atemgerät erfunden, das ich verbesserte und Ihnen nachher wie einen kleinen Rucksack aufhängen werde. Ein- und Auslassventil der Schläuche aus dem Behälter mit Pressluft münden dabei in einen Kupferhelm. Einleuchtend?«
»Ja. Und womit schießen Sie?«
»Nicht mit Pulver, sondern auch mit Pressluft. Und alle Schüsse, die ich mit diesem Pressluftgewehr abgebe, sind tödlich. Die Geschosse sind nämlich auch etwas ungewöhnlich: kleine Glaskapseln, in Stahl gefasst und durch ein bleiernes Bodenstück beschwert. Es sind eigentlich winzige Leidener Flaschen, in denen die Elektrizität sehr hoch gespannt ist. Beim Aufprall entladen sie sich und fällen auch das stärkste Tier.«
Ich sah, dass dieser Mann unschlagbar war. Was er begann, war sinnvoll durchdacht und musste gelingen.
»Kapitän«, sagte ich begeistert, »wo Sie hingehen, da will auch ich …«
»Gut, dann gehen wir zuerst mal die Taucheranzüge anlegen.«
Ich folgte ihm in eine kleine Kabine neben dem Maschinenraum und gleich darauf trafen auch Ned Land und Conseil ein. Der Kanadier war enttäuscht, als er hörte, dass es nicht an Land gehen sollte, und er entwickelte einen ausgeprägten Widerwillen gegen die unförmigen Gummianzüge, die an der Wand hingen.
»Es zwingt Sie niemand mitzukommen«, sagte der Kapitän kühl.
Zwei Mann der Besatzung traten herein und halfen uns beim Anlegen der schweren Kleidung. Kupferplatten auf der Brust schützten vor Wasserdruck und Bleischuhe ermöglichten das Gehen auf dem Meeresboden. Bevor wir die Helme aufsetzten, erklärte uns einer der herkulischen Gefährten des Kapitäns, der uns begleiten wollte, die Funktion der Gewehre. Sie waren leicht zu bedienen und luden automatisch nach.
»Wie kommen wir ins Wasser?«, rief ich ungeduldig.
»Setzen Sie den Helm auf, dann werden Sie es sehen!«
Ned Land wünschte uns ironisch Waidmannsheil und verabschiedete sich. Der Kapitän winkte uns jetzt, ihm in eine kleine Kammer neben dieser Umkleidekabine zu folgen. Darin war es völlig dunkel. Man schloss die Türe hinter
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