2001 Himmelsfeuer
sie den Geschmack nicht mochte, nahm sie ein paar Schluck, um mit den anderen mitzuhalten. Sie übernahmen abwechselnd das Steuer – Ventura, White Oak, Sherman Way. Und rauf auf den Freeway. Wieder runter bei Studio City. Und genau als Erica am Steuer saß, stellte eine Polizeistreife die Sirene an und bedeutete ihr, rechts ran zu fahren. Erica wurde von Panik gepackt. Sie hatte keinen Führerschein. Und dann sprangen die anderen wie der Blitz aus dem Auto und rannten davon, während Erica wie benommen hinter dem Steuer sitzen blieb.
Auf der Revierwache versuchte sie die Polizisten davon zu überzeugen, dass sie keine Ahnung hatte, dass der Wagen gestohlen war. Woher hatte sie dann die Schlüssel? wollten sie wissen. Was glaubte sie denn, wessen Auto das war? Wer waren ihre Kumpane, die raussprangen, als sie den Wagen anhielt? Doch Erica hatte in den vielen Erziehungsheimen den Ehrenkodex der Teenager gelernt, dass man Freunde nämlich niemals verpfiff.
Sie wurde des schweren Autodiebstahls beschuldigt und bis zur Gerichtsverhandlung in eine Jugendanstalt gesteckt. Dort erzählten ihr die taffen Insassen Horrorgeschichten über die California Youth Authority Camps – die Erziehungslager der kalifornischen Jugendbehörde. »Du bist hübsch und ’ne Weiße. Pass bloß auf, wenn du unter der Dusche bist.«
Vor Gericht zu stehen, war für Erica nichts Neues. Als Mündel unter Amtsvormundschaft musste sie jedes Mal, wenn sich ihr Rechtsstatus änderte, vor ein Vormundschaftsgericht. Nur dass sie diesmal vor einem Strafgericht stand, und wenn man sie für schuldig befand und zum Erziehungslager verurteilte, dann war sie »am Arsch«, wie die Jung-Knastis ihr versicherten.
Es war September, der schlimmste Monat im San Fernando Valley, wenn die Hitze und der Smog ihren Höhepunkt erreichten. Erica war verängstigt und deprimiert wie nie zuvor. Nicht nur, dass Chip Masters und die anderen aus der Clique keinen Finger zu ihrer Verteidigung rührten, auch ihre Heimleiterin erklärte, sie toleriere kein schlechtes Benehmen, und verweigerte Erica ein Leumundszeugnis. Noch nie im Leben hatte sie sich so verloren und elend gefühlt, und nun drohte ihr auch noch eine harte Strafe hinter Gittern und Stacheldraht.
Erica saß in einem der Gänge des Obersten Gerichts und wartete darauf, dass ihre Strafsache aufgerufen wurde. Bei der Anhörung sollte entschieden werden, ob ihr Fall unter das Jugendstrafrecht oder das Erwachsenenstrafrecht fiel. Ein Jugendlicher rempelte eine ältere Dame an und riss ihr die Tasche vom Arm. Andere kamen der Dame zu Hilfe, halfen ihr auf und führten sie zum Fahrstuhl. Von ihrer Bank aus entdeckte Erica die Geldbörse der Dame, die unter einen Stuhl geschliddert war. Sie nahm die Börse auf, sah das ganze Geld darin und rannte der alten Dame nach. Sie erreichte sie gerade noch, bevor sich die Fahrstuhltür schloss.
Das Ergebnis der Anhörung war verheerend. Der Richter befand, Erica sei mit allen Wassern gewaschen und reif genug, daher sollte ihr Fall nach dem Erwachsenenstrafrecht verhandelt werden. Als Erica von ihrer Fürsorgerin aus dem Gerichtssaal geführt wurde, wurde ihr plötzlich übel. Sie stürzte in die Toilette, während die Fürsorgerin draußen auf dem Flur wartete. Und während sie noch in diesem weiß gekachelten, nach Desinfektionsmitteln riechenden Raum stand, sich die Augen ausweinte und daran dachte, dass dies das Ende sei – denn ganz bestimmt würde ihr niemand ihre Geschichte abnehmen und man würde sie aufgrund eines schwerwiegenden Verbrechens ins Gefängnis stecken –, kam eine gut gekleidete Dame mit Aktenkoffer herein, stutzte und fragte sie dann, was sie denn für Probleme hätte. Erica platzte mit ihrer ganzen Geschichte heraus, und zu ihrer Überraschung erklärte die Dame, dass sie ihr helfen wolle. »Ich habe gesehen, wie du der alten Dame ihre Geldbörse zurückgegeben hast. Du hättest sie behalten können. Niemand hat dich beobachtet. Du hast mich auf der anderen Seite am Zeitungsstand nicht bemerkt. Das alles sagt mir einiges über deinen Charakter. Ein Mädchen, das eine volle Geldbörse zurückgibt, stiehlt kein Auto.«
Wie sich herausstellte, war die Dame Anwältin und stand auf gutem Fuß mit dem Richter. Sie führte Erica sofort wieder in den Gerichtssaal und erklärte dem Mann auf der Richterbank, dass diese Jugendliche von einem Pflichtverteidiger und somit unzulänglich vertreten worden war. Sie bat darum, zum Rechtsbeistand für die
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