2001 Himmelsfeuer
»Woher sollte ich wissen, wer Ihr Vater war?«
»Ich meine, wer hat Ihre Tochter geschwängert?«
Die Frau schnaubte ungehalten. »Ich muss darauf bestehen, dass Sie mein Haus verlassen.«
»Mrs. Dockstader, hat meine Mutter je unter schlimmen Kopfschmerzen gelitten, so was wie Migräne? Und hat sie dabei Dinge gesehen, Stimmen gehört? Oder
Sie
vielleicht?«
Die Hausherrin war an die Wand getreten und drückte nun einen Knopf der internen Sprechanlage. »Sicherheitsdienst, würden Sie bitte herkommen? Wir haben Besucher, die vom Grundstück begleitet werden müssen.« Damit verließ sie den Raum.
»Mrs. Dockstader!« Erica lief ihr hinterher. »Glauben Sie mir, alles, was ich erzählt habe, ist wahr …« Sie verstummte.
An der gegenüberliegenden Wand des mit weißer Teppichware ausgelegten und mit weißen Plastiken geschmückten Wohnzimmers hing über einem Kamin aus hellem Kalkstein ein riesiges Ölgemälde mit zwei Sonnen, die eine flammend rot, die andere strahlend gelb.
Jared nahm Ericas Arm. »Wir sollten besser gehen, sonst lässt sie uns noch verhaften.« Dann hielt auch er inne und blickte fassungslos auf die Wand. »Du meine Güte«, stieß er hervor. »Das Bild aus der Höhle!«
Erica sah sich vergeblich nach Kathleen Dockstader um. Im nächsten Moment tauchte ein stämmiger Mann im Blazer in der Tür auf. Auf seiner Dienstmarke stand
Dockstader Farms Security.
Erica und Jared verließen wortlos das Haus, sprangen in den Porsche und preschten die Zufahrt hinunter.
Als sie sich wieder in den Hauptverkehr gefädelt hatten, nahm Jared kurz den Blick von der Straße, um Erica anzusehen. Sie saß kerzengerade, mit kantigem Profil, den Blick starr auf die Windschutzscheibe gerichtet. In ihren Augen schimmerten Tränen. Wie gerne hätte er angehalten, sie in die Arme genommen und geküsst wie damals, als er sie aus der Höhle gezogen hatte. Er wollte umdrehen, zu Mrs. Dockstader zurückfahren und ihr unmissverständlich klar machen, was für ein herzloses Biest sie war. Er sehnte sich nach einem Drachen, den er erschlagen konnte.
»Alles okay?«, fragte er stattdessen.
Sie nickte wortlos, die Lippen fest zusammengepresst.
An einer roten Ampel mussten sie anhalten. Zur Rechten sah Jared die Golfplätze und exklusiven Hotelanlagen, die aufwendig illuminiert waren, als wollte man den heraufziehenden Sternen trotzen, und vor sich die Fahrzeugkolonne, die endlose Kette von Restaurants, Geschäften und Tankstellen und die vielen roten Bremslichter. Dann schaute er zur Linken, wo eine Straße steil bergan führte, an Büschen, Wildblumen und Felsen vorbei. Als die Ampel auf Grün sprang, bog Jared kurzerhand nach links ab. Erica widersprach nicht.
Die Sterne funkelten bereits am Himmel und der Mond ging gerade auf, als sie eine Anhöhe erreichten, die dicht mit Fichten bestanden war und in wäldlicher Stille lag. Erica hatte noch kein Wort gesprochen, seit sie das Dockstader-Grundstück verlassen hatten, und saß auch weiterhin stumm neben Jared, als er den Porsche am Waldrand zum Stehen brachte und die Scheinwerfer ausschaltete. Sogleich schienen die Sterne klarer, der Himmel wirkte näher. Die Luft war frostig.
Jared wandte sich Erica zu und wartete.
»Sie ist meine Großmutter«, begann Erica nach einer Weile. »Und sie weiß es.« Ihr Gesicht war erschreckend blass. »Haben Sie ihren Blick gesehen, als sie hereinkam? Sie hat mich erkannt. Warum hat sie mich abgewiesen, nachdem sie so viel Geld und Mühe darauf verwendet hat, mich zu finden?« Erica senkte den Blick auf die Hände in ihrem Schoß. »In der Vermisstenmeldung steht, dass Monica im vierten Monat schwanger war, das bedeutet, dass ihr Baby im November 1965 auf die Welt kommen sollte.
Ich
bin im November 1965 geboren. Warum weist meine Großmutter mich zurück?«
»Man kann den Menschen nicht ins Herz schauen.« Jared schob den Arm über die Sitzlehne, bis er mit den Fingerspitzen Ericas Haar berührte. Die Dunkelheit des Waldes schien das Auto einzuhüllen, wie um seinen Insassen mehr Privatsphäre zu verschaffen. Oder vielleicht um zu lauschen, was sie sich sagten. »Als Netsuya starb«, sagte Jared leise, »lief ich weg und versteckte mich vor der Welt. Ich wurde von Marinebiologen gefunden. Als sie mich zu Hause ablieferten, war alles, was meinem Vater einfiel, dass ich die Familie blamiert hätte. Er hat sich später entschuldigt und wollte alles zurücknehmen, aber gesagt ist gesagt. Seitdem sind die Dinge zwischen uns nicht
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