2001 Himmelsfeuer
Zu dem Anwesen gehörten noch ein Restaurant und eine Geschenkboutique, außerdem wurden Besichtigungstouren der Plantage und der Verpackungsanlage inklusive Kostproben für die Besucher angeboten. Auf der Website gab es auch einen Abschnitt »Alles über unsere Familie«. Erica hatte erwartet, dort etwas über die Geschichte der Dockstaders zu finden, es war aber nur die Beschreibung der Firmenfamilie – vom Vizepräsidenten angefangen bis hinunter zum Dattelpflücker.
Erica hatte gleich vom Stadtarchiv aus angerufen, dabei aber erfahren müssen, dass Mrs. Dockstader keine Termine mehr annahm und erst nach einer sechsmonatigen Ferienreise wieder erreichbar sein würde. Erica hatte kurz erwogen, der Sekretärin zu erklären, wer sie war – Mrs. Dockstader würde für ihre lang vermisste Enkelin bestimmt Zeit haben –, sich dann aber überlegt, dass es besser wäre, einfach gleich hinzufahren. Nachrichten dieser Art vermittelte man nicht über das Telefon oder über eine Sekretärin, außerdem drängte die Zeit, da Mrs. Dockstader am nächsten Tag bereits abreisen wollte.
Sie fuhren an einem Schild mit der Aufschrift »Erbaut 1890 « vorbei, passierten den Besucherparkplatz und folgten einem schmalen, asphaltierten Weg, der von massiven Eichen und Weidenbäumen flankiert wurde. Dann kamen sie an ein Verbotsschild »Privatgrundstück. Kein öffentlicher Zutritt«. Jared ignorierte es und fuhr einfach weiter. Erica schloss die Augen. Ihr Herz klopfte heftig. Sie wusste, was sie am Ende des Wegs erwartete: ein riesiges, reich verziertes viktorianisches Gebäude, um 1900 erbaut, voller Antiquitäten und Familiengeschichte, und drinnen Kathleen Dockstader, eine gütige, großmütterliche zweiundsiebzigjährige Witwe mit arthritischen Händen und weißem Haar. Erica konnte beinahe ihren Lavendelduft riechen, als die alte Dame unter Tränen sagte: »Ja, ich bin deine Großmutter« und sie liebevoll in die Arme schloss.
Der Weg endete auf einer geschwungenen Auffahrt. Die Eichen und Weidenbäume gaben den Blick frei auf einen herrschaftlichen Rasen, elegante Brunnen und ein Haus, das sich wie eine architektonische Zukunftsvision ausnahm. Halb mit blendend weißem Gips, halb mit Glas verkleidet, stellte sich der Wohnsitz der Dockstaders als schlichtes eingeschossiges Gebäude mit kühlen, klaren Linien ohne irgendwelche Schnörkel oder Verzierungen heraus. Halb Santa Fe, halb Gewächshaus, dachte Erica. Ein Rolls-Royce parkte vor dem Haus, und ein Mann in Butleruniform war gerade dabei, ein teures Kofferset und eine Golftasche im Kofferraum zu verstauen.
Jared brachte den Wagen zum Stehen und sah Erica an. »Bereit?«
»Ich bin so nervös.« Spontan griff sie nach seiner Hand. »Danke, dass Sie mitgekommen sind.«
»Das hätte ich mir nicht entgehen lassen wollen«, meinte er und drückte ihre Hand. »Diese Frau sucht seit fünfunddreißig Jahren nach Ihnen. Sie hat sogar einen beachtlichen Finderlohn ausgesetzt.« Jareds Lächeln wurde breiter. »Hoffentlich hat sie Riechsalz zur Hand.«
Erica schaute in Jareds Augen, die gar nicht mehr so düster erschienen, sondern vielmehr in einem ausdrucksvollen Grau leuchteten, das sie an Offenheit und Aufrichtigkeit denken ließ. »Ich habe mich mein Leben lang etwas gefragt … ist meine Mutter je zu der Kommune zurückgegangen und hat nach mir gesucht? Womöglich wusste meine Mutter gar nichts davon, dass dieser Mann mich und die Frau in ein Krankenhaus nach San Francisco brachte, wo sie an einer Überdosis starb. Und wenn sie mich nun die ganze Zeit über gesucht hat?«
»Vielleicht ist sie ja nach Hause gekommen, vielleicht ist sie ja hier«, meinte Jared mit einem Blick auf die Gips-Glas-Konstruktion, die wie ein Architektenmodell inmitten perfekter Bäume und Büsche stand.
An der Haustür erschien ein eher abweisend aussehender Butler. »Bitte, es ist dringend«, flehte Erica. »Sagen Sie Mrs. Dockstader, dass wir wegen ihrer Tochter hier sind.«
Sie wurden in eine Halle geführt, die in sanften Wüstenfarben gehalten war. Der Kalksteinboden schimmerte wie Glas, und über einem Oberlicht wölbte sich der wolkenlose Wüstenhimmel. Man ließ sie gute dreißig Minuten warten. Währenddessen setzte die Dämmerung ein, und überall im Haus sprang gedämpftes Licht an.
Die Frau, die schließlich erschien, hatte nichts Freundliches noch Großmütterliches an sich. »Ich bin Kathleen Dockstader«, sagte sie knapp zu Jared. »Was soll das mit meiner
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