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2001 Himmelsfeuer

2001 Himmelsfeuer

Titel: 2001 Himmelsfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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flirrende Sonnenlicht, in Sichtweite von Opaka, die beim Himbeerernten war. Der gesamte Stamm wusste, dass Medizinmänner und -frauen die Beeren und Blätter der Himbeere zur Herstellung von Stimulanzien und Tonika verwendeten, für Tees und Sirups gegen Durchfall und Dysenterie, Geschwüre und Halsentzündung. Himbeeren konnte jeder pflücken; worauf sich aber nur Eingeweihte verstanden, war, die Pflanze zum richtigen Zeitpunkt zu ernten und dazu die richtigen Gebete zu sprechen, denn sonst blieb die Pflanze wirkungslos.
    Ungeniert sah Marimi zu, wie Opaka sich einem zu erntenden Strauch näherte, lauschte ihren respektvollen Worten, sah die geheiligten Zeichen, die sie mit ihren Perlen und Federn in die Luft malte. Und als Opaka eine Staude, die sie herausgezogen hatte, beiseite legte, bemerkte Marimi, dass die Wurzel im Boden verblieben, abgebrochen war, was bedeutete, dass die Pflanze ihre übernatürliche Kraft eingebüßt hatte. Da Opaka vornehmlich nachts zum Pflücken ging, merkte sich Marimi die jeweilige Mondphase, die Stellung der Gestirne und ob viel oder wenig Tau die Blätter benetzte.
    Sie bekam auch mit, wie Opaka die Enkelin ihrer Schwester über Kräuter und Medizinen aufklärte und das Mädchen darin unterwies, dass man die Rinde von Erlen erst eine Weile trocknen ließ, ehe man sie kochte, da frische Rinde Brechreiz und Magenschmerzen verursacht, und dass man den Sud drei Tage abstehen lassen muss, bis die gelbe Färbung in eine schwarze umschlägt. Erlentee bei Vollmond verabreicht, erläuterte Opaka der Enkelin der Schwester, sei gut für den Magen und rege den Appetit an. Und die Beeren seien darüber hinaus ein ausgezeichnetes Entwurmungsmittel für Kinder.
    Wenn Opaka ihre etwas abseits gelegene Hütte verließ, schlich Marimi hin und wieder in diese Hütte, um herauszufinden, wie die Medizinfrau mit den gesammelten Pflanzen verfuhr. Bei einem ihrer Besuche kam sie hinter das Geheimnis der Innenrinde der Ulme, die sie Opaka hatte schneiden und zum Trocknen ausbreiten sehen. Neben der Rinde, auf einem Rehleder, entdeckte Marimi einen Mörser und einen Stein und in dem Mörser etwas bereits zu Puder zerstampfte Rinde. Und auf einer Schnur trockneten Ulmenzäpfchen, die, wie sie wusste, bei Frauenleiden in die Scheide eingeführt wurden und rektal bei Darmproblemen.
    Alles, was Marimi im Laufe des langen Winters, während unter ihrem Herzen ihr Baby wuchs, beobachtete und hörte, prägte sie sich genau ein. Die Schrecken des Waldes umgaben sie weiterhin, bedrohten sie, belauerten sie, schärften ihre Wachsamkeit für boshafte Spukgestalten. Mit allen Mitteln versuchte sie, sich und Payat davor zu schützen, dass ein böser Geist Besitz von ihnen ergriff. Nach und nach spürte sie, wie sich eine Kraft in ihr entwickelte und ein Bewusstsein um Sinn und Zweck. Der Mond hatte sie aus einem bestimmten Grund gerettet, deshalb hielt sie sich an ihre Abmachung mit ihm. Wann immer sie zu einem Teich kam, in dem so viele Blätter herumschwammen, dass der Mond sich nicht darin spiegelte, schob sie für ihn die Blätter beiseite, damit er stolz und schön sein Licht über dem Wasser ausgießen konnte. Und wenn sie im Wald Blumen sah, die nur nachts ihre Kelche öffneten, Nachtkerzen zum Beispiel, entfernte sie die darüber hängenden Äste, damit der Mond freie Sicht auf die prächtigen Blüten hatte, die sich für ihn öffneten.
    Auf diese Weise überlebten sie, das unbeugsame Mädchen und der kleine Junge, am Rande des Lagers, dessen Kreis sie nicht zu betreten wagten. Um die Zukunft machte sich Marimi wie alle Topaa keine Gedanken. Es gab ein Heute und eine Vergangenheit; das Morgen war etwas Unbestimmtes und Verwirrendes, schon weil morgen immer zu heute wurde. Sie hätte gern einen Schamanen befragt, was sie tun sollte, wenn das Frühjahr anbrach – sollte sie mit Payat im Wald bleiben oder aber eine Unterkunft für den Sommer suchen, in der Nähe ihrer Familien? Wie verhielten sich lebende Tote? Und wie lernten sie, Geister zu werden? Als Marimi und Payat verstoßen worden waren, hatte es auf der anderen Seite niemanden gegeben, der ihnen das hätte sagen können. Ihrer beider Schicksal war es gewesen zu sterben, aber Marimi hatte zum Mond gebetet, und der hatte ihnen den Weg gewiesen zu überleben. Hatten sie dadurch, dass sie dem Tod entgangen waren, noch mehr Stammestabus gebrochen?
    Marimi war zu jung, um lange über diese schwierigen Fragen nachzugrübeln. Stattdessen machte sie sich jeweils

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