2001 Himmelsfeuer
Wer hätte gedacht, dass einem Mann solch alltägliche Kost derart fehlen würde? Hitzige, wiewohl freundschaftliche Diskussionen fielen ihm ein, etwa um die Qualität eines bestimmten Käses – Brie, Gruyère, Parmesan. Wie gern hätte er dem Häuptling der Topaa erzählt, dass ein guter Roquefort oder ein würziger Schweizer Käse ungemein köstlich schmeckte. Aber das hätte der Mann nicht verstanden. Die Topaa verwendeten nicht die Milch von Tieren. Dafür waren sie ausgezeichnete Fischer, und Nahrung aus dem Meer gab es reichlich – auch wenn jeder zivilisierte Mensch wusste, dass mit einer guten Soße Fisch noch besser mundete. Vor allem aber verlangte es Don Godfredo nach einem guten Bordeaux.
Wenn er nicht aß oder schlief oder spielte, hielt er am Strand Ausschau – bei Tagesanbruch und zur Zeit der Abenddämmerung, bei Sonne und Regen, Nebel und Wind, allein auf den Dünen oder aber mit einer Schar Kinder, die noch immer von dem Fremden fasziniert waren. Dann redete er in seiner Sprache zu ihnen, spähte zwischendurch immer wieder hinaus aufs Meer. Wären die Topaa des Spanischen mächtig gewesen, hätten sie gemerkt, dass Don Godfredo sehr gebildet war, dass ihm seine Bücher abgingen, sein Instrumentarium, um Berechnungen anzustellen, seine alchemistischen Reagenzgläser und Phiolen, dass er sich nach seinem Astrolabium, seinem Quadranten und seinen Karten sehnte, nach seinen Uhren und Stundengläsern und Sonnenscheiben, nach Federkielen und Pergament, Tinte und Buchstaben und Worten. Darüber hinaus hätten sie erfahren, dass Don Godfredo wohlhabend war und Bequemlichkeit liebte und dass er Schlösser und weiche Sessel, feines Geschirr und Taschentücher, Federbetten und einen wärmenden Kamin entbehrte. Dazu das politische Geschehen und die Intrigen bei Hofe und Kenntnis darüber, wer augenblicklich gut angesehen war und wer nicht mehr. Die intellektuelle Auseinandersetzung! Sein Pferd! Nach allem, was er als selbstverständlich erachtet hatte, verlangte es ihn jetzt so sehr, dass er den Verzicht darauf geradezu als körperlichen Schmerz empfand.
Eines Morgens, als alles in grauen Nebel getaucht war, keine Möwen am Himmel kreisten und nicht einmal die Kanus zum Fischfang zu Wasser gelassen wurden, musste Don Godfredo, als er in seinen von Feuchtigkeit durchdrungenen Kleidern trübsinnig am Strand stand, an einen Roman denken, der zurzeit in Spanien Furore machte und der den Titel
Sergas de Esplándian
trug. Es ging darin um einen Ritter namens Esplándian, der während der Belagerung von Konstantinopel das Kommando über die Verteidigung der Stadt gegen die anstürmenden Heiden innehatte. Da tauchte plötzlich unter den Belagerern eine Königin von einer weit entfernten, legendären Insel auf, die »rechter Hand von Indien, unweit des irdischen Paradieses« lag. Diese Insel wurde von Frauen mit ebenholzfarbener Haut bewohnt, deren Waffen aus Gold waren, und in den Bergen lebten prächtige Greife. Wenn die Greife Nachwuchs bekamen, so die Geschichte, bemächtigten sich die Amazonen dieser Jungen und fütterten sie mit männlichen Säuglingen, die die Frauen geboren hatten, sowie mit männlichen Gefangenen. Im weiteren Verlauf des Romans wurde die Königin zum Christentum bekehrt, achtete fortan die Männer, heiratete den Cousin von Esplándian und kehrte mit ihm auf ihr wundersames Eiland zurück.
Jeder, der das Buch gelesen oder die – wohlgemerkt frei erfundene – Geschichte gehört hatte, fragte sich, ob es diese legendäre Insel nicht vielleicht doch gab. Dementsprechend hatte Cabrillo, als er von Mexiko aus Segel setzte, um die nördliche Küste zu erforschen, insgeheim gehofft, ein Land zu entdecken, in dem das einzige Metall wie in dem Buch Gold war. Als sie dann in der Bucht im Süden ankerten und sahen, wie primitiv die Eingeborenen lebten und dass es weder Gold noch herrliche Amazonen noch solche Fabelwesen wie Greife gab, benannten sie hämisch und aus Enttäuschung das Land nach jener Insel: California.
Bei der Erinnerung daran wurde Don Godfredo schwermütig. Weil die Menschen hier nichts besaßen, was für die spanische Krone von Wert gewesen wäre, mochten Jahre vergehen, bis wieder ein Schiff aufkreuzte! Die Wilden hier konnten zwar seinem Körper Nahrung geben, nicht aber seiner Seele. Sie würde verkümmern und sterben und er den Verstand verlieren.
In seiner Verzweiflung schaute er den Strand entlang und sah, dass Marimi, die hochgewachsene Gestalt in Seehundfell
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