2001 Himmelsfeuer
Tees und Aufgüssen und ihren eigenen Topaa-Heilmitteln zu helfen – die Krankheit, die bislang bei ihrem Volk unbekannt gewesen war, breitete sich zusehends aus. Das lag, wie Teresa mutmaßte, an Geistern, die die weißen Männer mitgebracht hatten, Geister, die nicht hierher gehörten, sondern in eine andere, entlegene Welt. Die weißen Männer starben nicht, wenn diese Geister sich in ihren Körper einnisteten. Manche wurden nicht einmal krank. Umso weniger konnten sich die Topaa sowie die anderen Stämme dieser sie heimsuchenden Geister erwehren.
Viele der Frauen hatten in der Mission Schutz vor den Soldaten gesucht, gesetzlosen Männern, Trunkenbolden, die wehrlose Eingeborene zu Pferd verfolgten, sie wie Tiere mit dem Seil einfingen und vergewaltigten. Und weil die Ehemänner und Brüder dieser Frauen mit ihren Speeren und Pfeilen nichts gegen die Musketen der Soldaten ausrichten konnten, war es sicherer, die Dörfer zu verlassen und Zuflucht bei den Padres zu suchen. Aber zu welchem Preis! Dicht an dicht lagen sie in der Hütte; Teresa hörte das Durcheinander von Dialekten, wenn die Tongva versuchten, sich mit den Chumash zu verständigen, wenn weinende Babys beschwichtigt wurden; sie sah junge Mädchen mit angsterfüllten Blicken auf dem Boden kauern und sich wahrscheinlich fragen, wie sie einen Ehemann finden sollten, wer die Abstammung der Familie überprüfen würde. In einer anderen Ära, einem anderen Leben wäre Teresa möglicherweise der Gedanke vom »Zusammenbruch der Gesellschaftsstruktur« gekommen. In dieser Nacht voller Fragen stand für sie nur so viel fest, dass alles um sie herum aus den Fugen geriet.
Am hintersten Lager kauerte sie sich leise zu der Frau, die auf der Seite lag, das Gesicht der Wand zugekehrt. Bei der Taufe hatte sie den Namen Benita erhalten; sie war von Soldaten vergewaltigt und davon schwanger geworden. Als sie eine Fehlgeburt erlitt, unterstellten ihr die Padres, sie hätte, da unverheiratet, abgetrieben. Zur Strafe wurden ihr Eisen um die Füße gelegt; sie war öffentlich ausgepeitscht worden, man hatte ihr den Schädel rasiert und sie gezwungen, in Sackleinen herumzulaufen und ihr Haupt mit Asche zu bestreuen. Außerdem musste sie bei der Arbeit das rot gefärbte Abbild eines aus Holz geschnitzten Kindes tragen und sich sonntags, zur Zeit der Messe, vor die Missionskirche stellen und die Verachtung und den Hohn der Kirchgänger über sich ergehen lassen. Diese Bestrafung diente dazu, Indianerinnen zu zwingen, ungewollte Kinder auszutragen; Abtreibung, sagten die Padres, sei Sünde. Was die Padres allerdings nicht zu verstehen schienen, war, dass es diese seltsamen Krankheiten waren, die so häufig zu Fehlgeburten bei den Topaa führten. Da gab es böse Geister, die die Frauen mit Fieber und Atemnot quälten und die die Padres als »Lungenentzündung« bezeichneten, oder solche, die Ausschlag verursachten und von den Padres als »Syphilis« und »Gonorrhö« bezeichnet wurden, allesamt neue Geister für die Topaa, so neu wie die ihnen bislang unbekannten Gräser oder Tiere oder Blumen. Und sie verfügten nicht über entsprechende Abwehrkräfte.
Benita lag im Sterben. Es war nicht ihr Körper, der krank war, sondern ihr Geist. Sie hatte nichts getan, damit das ungeborene Kind ihren Leib verließ. Aber die Padres glaubten ihr nicht. Sie wollten an ihr »ein Exempel statuieren«, hatten sie gesagt. Ein Exempel statuierten sie auch an getauften Ehemännern und Brüdern, die wieder ihr früheres Leben aufnehmen wollten: Sie wurden von Soldaten gejagt und in die Mission zurückgebracht und in einen so genannten »Verschlag« gesperrt, wo sie dem allgemeinen Spott ausgesetzt waren.
Teresa lehnte sich zurück und sinnierte über die Frauen und Mädchen nach, die in dieser Unterkunft zusammengepfercht waren, ohne frische Luft, ohne wärmendes Feuer, ohne eine Schamanin, die dafür sorgte, dass die Geister nicht von einem Körper zum anderen übersprangen. Eine einzige Frau, die vom Masern- oder vom Typhusgeist besessen war, genügte, um alle anderen Frauen krank zu machen, da der böse Geist von einer nach der anderen Besitz ergriff.
Den Padres schien das nicht einzuleuchten. Wie so vieles andere auch.
Warum bestanden sie darauf, in der Sommerhitze in ihren kratzigen Wollkutten zu schwitzen, wenn es sinnvoller war, nackt herumzulaufen? Warum zwangen sie die Frauen, sich zu bedecken, und sagten, ihre Brüste seien unzüchtig? Warum nannten sie die Menschen in Bausch und
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