2001 Himmelsfeuer
Hebammen ihre Tätigkeit neideten. In ihrem Volk dagegen bekämen Frauen seit Tausenden von Jahren ihre Babys ohne das Zutun männlicher weißer Ärzte. Als ich daraufhin eine Ärzt
in
vorschlug, lehnte sie wiederum ab. Es kam zum Streit. Ich sagte, es sei auch mein Baby, und dass ich ein Mitspracherecht hätte. Aber Netsuya bestand darauf, dass es letztendlich ihr Körper sei, und damit setzte sie sich durch.«
Jared schenkte sich nach. Sein Blick streifte den Giebel des Modellhauses, so als überlegte er, wie sich die Arbogasts bei der Geburt von Muffin und Billy verhalten hatten. »Als die Wehen einsetzten, rief sie ihre Hebamme. Sie kam mit einer Gehilfin, ebenfalls einer Vollblutindianerin. Die drei Frauen verzogen sich ins Schlafzimmer und sperrten die Tür zu.«
Jared legte eine Pause ein, lange genug, um sich noch einen Schuss Whisky nachzuschenken und einen Eiswürfel zu versenken. »Die Wehen zogen sich stundenlang hin. Ich durfte mich zwischendurch immer mal wieder zu Netsuya ans Bett setzen, derweil die Hebamme Kräutertee kochte und die Gehilfin das Zimmer mit heiligem Rauch erfüllte und indianische Gebete singsangte. Als das Baby kam, wurde ich hinauskomplimentiert, weil meine Anwesenheit tabu war. Ich blieb draußen vor der Tür stehen und lauschte. Netsuya schrie laut auf, dann wurde es still. Ich wartete auf die ersten Laute des Babys. Als sie ausblieben, ging ich hinein.«
Das Eis in seinem Drink klirrte. Der Regen auf dem Dach trommelte lauter.
»Da war …« Er umspannte das Kristallglas, wie um sich daran festzuhalten, starrte in seinen Whisky, die Stimme, mit der er weitersprach, klang gepresst. »Da war so viel Blut. Und die Hebamme – nie werde ich ihren Gesichtsausdruck vergessen. Sie war völlig fassungslos. Ich packte Netsuya in Decken und brachte sie hinunter ins Krankenhaus. An die Fahrt erinnere ich mich nicht mehr, nur dass ich die Hand auf der Hupe hatte und rote Ampeln überfuhr. Die Ärzte taten, was sie konnten, um meine Frau und meinen Sohn zu retten, aber es war zu spät.«
Er schwieg. Erica stand wie versteinert da. »Das tut mir aufrichtig Leid«, sagte sie schließlich.
Auf Jareds Stirn pochte eine Ader. »Es vergeht kein Tag«, stieß er heraus, »an dem ich nicht an meinen Sohn denke und mir vorstelle, wie er wohl jetzt als Dreijähriger sein würde. Ich kann Netsuya nicht verzeihen, was sie getan hat. Und mir selbst auch nicht.«
»Aber Sie trifft doch keine Schuld. Niemand ist schuld. So etwas passiert eben.«
»So etwas
darf
nicht passieren.« Er blitzte sie wütend an. »Es hätte verhindert werden können. Das hat mir der behandelnde Arzt später gesagt, als er mich fragte, ob Netsuya während der Schwangerschaft Drogen eingenommen hätte. Nicht mal ein Aspirin habe sie geschluckt, erklärte ich ihm. Und dass in ihrer Gegenwart niemand rauchen durfte. Sie sei derart auf ihre Gesundheit bedacht gewesen, dass sie nur Kräutertees trank und zusätzlich Kräuter zu sich nahm. Daraufhin fragte mich der Arzt, was für Kräuter das gewesen wären.
Ich erinnerte mich, dass Netsuya regelmäßig die Hebamme aufgesucht und sich dort ein Gemisch aus zweilappigem Ginkgo, Knoblauch und Ingwer besorgt hatte, laut Hebamme zur Vorbeuge einer Thrombose. Jetzt weiß ich, dass diese Kräuter das Blut verdünnen, eine Blutung somit langsamer zum Stillstand kommt, und nach Meinung des Arztes war genau dies die Ursache für den Blutsturz.«
Sein gehetzter, verdunkelter Blick richtete sich auf Erica. »Die Leute meinen immer, hat er gesagt, dass sie, wenn sie irgendwelche Kräuter zu sich nehmen, etwas für ihre Gesundheit tun, während sie in Wirklichkeit dadurch manchmal ihr Leben aufs Spiel setzen. Und dass dies zunehmend ein Problem sei, da immer mehr Leute auf Kräuter abfahren; es sei für Chirurgen inzwischen schon zur Routine geworden, vor einer Operation ihre Patienten danach zu fragen, weil bestimmte Kräuter die Blutgerinnung hemmen, und dass, wenn Netsuya zu einem Arzt gegangen wäre, er sie davor gewarnt hätte. Sie und das Baby wären nicht …« Er wandte sich ab, und einen Augenblick lang glaubte Erica, er würde das Glas an die Wand schmeißen.
Jetzt verstand sie seine allabendlichen Verabredungen mit Säbeln, das sich selbst verordnete ständige Rendezvous mit scharfen Klingen und Spitzen. Natürlich war er dann entsprechend gepolstert, trug ein Visier, und die Säbel waren stumpf, aber das tat nichts zur Sache. Es war der Kampf an sich, den es auszutragen galt
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