2007 - Die Schatztaucher
umschlangen ihn. Die rostigen Spitzen der Morgensterne durchdrangen seinen Overall, seine Haut, gruben sich in sein Fleisch und seine Organe, durchbohrten ihn, zehrten ihn von innen auf, und irgendwie drang ein Laut zu ihm vor, der gar nicht vorhanden war, und dann wurde er Wirklichkeit, und er erkannte, daß es sein Bruder Dustaff war, der ganz laut schrie: „Vorsicht, Marth!"
Und der riesige Oktopus mit elfenbeinernen Hauern im eigentlich zahnlosen Maul, mit Tentakeln, die gespickt waren mit Morgensternen und Dolchen und Schwertern und Säbeln und Degen, nahm ihn in seine Umklammerung und erstickte und erdrückte und erstach ihn ...
Wie aus weiter Ferne hörte Marth erneut, wie jemand seinen Namen rief, dann sah er einen Schatten, der mitten durch die Projektion des Ungeheuers sprang. Der Dookie spürte eine Berührung, die nur um einen Hauch realer war als die des tintenfischähnlichen Monstrums.
Beim nächsten Herzschlag war der Spuk vorbei. Die Messer, die Tentakel, die Reißzähne, der gesamte Oktopus lösten sich auf. Marth schüttelte sich benommen und stellte fest, daß er auf dem Boden lag und sein Bruder halb auf ihm.
Der Klotz, den sie seit geraumer Zeit untersuchten und der seit drei Tagen seine bedrohliche Balance bewahrt hatte, war ohne ersichtlichen Grund umgestürzt. Das Donnern des Aufpralls mußte im halben Mittelteil der SOL zu hören gewesen sein.
Dustaff hatte sich vorwärts gestürzt, ihn irgendwie zu fassen bekommen und mit sich gerissen. Die Kante des schweren Gebildes hatte ihn um keine zehn Zentimeter verfehlt.
Aber das, was sich in dem Klotz bewegt hatte, was zu einem unerklärlichen Leben erwacht war und ihn angesprungen hatte, war wieder tot.
Zumindest inaktiv.
Marth überkamen fürchterliches Entsetzen und grenzenlose Erleichterung zugleich. „Verdammter Mist!" fluchte er. „Das Ding lebt!"
Dustaff hatte die Augen weit aufgerissen. Marth fragte sich, ob sein Bruder diese Projektion ebenfalls gesehen hatte oder ihm nur der Schreck in die Glieder gefahren war, weil das zu Schlacke zerschmolzene Aggregat, dessen Oberfläche aussah wie dahinziehende Wolken, anscheinend grundlos zusammengebrochen war, nachdem es mehrere Tage lang seine unsichere Balance bewahrt hatte. „Es ... lebt?" fragte Dustaff. Er atmete schwer. „Hast du den Tintenfisch nicht gesehen?"
„Den ... Tintenfisch?" Dustaff wußte ganz offensichtlich nicht, wovon Marth sprach. „Verdammt!" wiederholte Marth und rappelte sich wieder auf. „Die Korrago haben uns Klapperschlangen ins Nest gesetzt, und niemand an Bord glaubt es uns. Keiner ahnt, welche Gefahren hier im Mittelteil der SOL verborgen sind!"
Er betrachtete den Block. Das Ding sah wieder aus wie ein totes Stück Metall unbekannter Konsistenz, wie ein unnützer Schlackehaufen. „Hier im Mittelteil der SOL ist irgend etwas!" wiederholte Marth und zog einen Impulsstrahler aus einer der zahlreichen Taschen seines Overalls.
Er richtete die Waffe auf den Klotz. Und zögerte.
Wenn es ihnen gelang, die Hinterlassenschaften der Korrago auszuwerten und ihre Funktionsweise zu verstehen, könnten sie der Technologie der Milchstraße einen Entwicklungsschub geben. In diesem Block war vielleicht eine Waffe verborgen, die alles in den Schatten stellte, was der menschliche Erfindungsreichtum und die Lust an der Zerstörung bislang ausgetüftelt hatten.
Aber das Zögern geriet nur kurz. „Nein", murmelte er.
Die Versuchung war zwar vorhanden, aber es war zu gefährlich. Diese Dose der Pandora durfte niemand öffnen. Die hier verborgen liegende Technik grenzte zum Teil schon an Zauberei und war eventuell sogar kosmokratischer Herkunft. Marth mußte an den sprichwörtlichen Eingeborenen denken, der zum erstenmal ein anderes Wesen sah und die Stimmen, die aus dessen Funkgerät kamen, für Äußerungen der Geisterwelt hielt.
Aus dem Augenwinkel sah er, daß sein Bruder bereits zurückgetreten war. Er stellte, die Waffe auf Dauerfeuer ein und drückte ab.
Der glutheiße Strahl regte die Atome des Klotzes dazu an, miteinander in einen Kernverschmelzungsprozeß zu treten. Die dabei freiwerdenden Energien ließen sich mit denen vergleichen, die in einer Sonne freigesetzt wurden.
Von dem Block blieb nichts mehr übrig. Daß auch die Umgebung schwer geschädigt wurde, störte Marth Ravved in diesem Augenblick wirklich nicht.
Er zog diese Waffe einem Desintegrator vor, weil der die elektrostatischen Kernanziehungskräfte neutralisierte, die für den Zusammenhalt
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