2009 - komplett
hatte.
Später am Abend bemühte sich die ganze Gesellschaft um eine angemessen ernste Stimmung. Man verließ die Lustbarkeiten und versammelte sich in der nahen Kapelle von Byelough zur Weihnachtsmesse. Der mühsame Weg durch den kniehohen Schnee half den meisten der versammelten Seelen wieder zur Nüchternheit. Nicht dass Ian dafür den Schnee benötigt hätte, ging es Juliana durch den Sinn, als sie neben ihm stand.
Während des Abendmahls und der Darbietungen hatte er versucht, ein fröhliches Gesicht zu zeigen, aber sie war keine Närrin. Sie spürte eine tiefe und andauernde Traurigkeit in Ian, die während seines letzten Besuchs noch nicht da gewesen war.
Etwas stimmte ganz und gar nicht mit ihm. Und kein einziges Mal hatte er durch Worte, Blicke oder Taten die Absicht gezeigt, sie erneut um ihre Hand zu bitten. Er benahm sich, als hätten sie sich erst heute Abend getroffen. Eine kalte Vorahnung kroch wie mit eisigen Tentakeln durch ihre Adern. Was, wenn er sie nicht haben wollte? Was, wenn er sich weigerte, sie zu heiraten, selbst wenn er von dem Kind und der Mitgift wusste?
Sie hörte kaum zu, als Vater Dennis durch die langen Stunden der Messe führte und abwechselnd dunkle und hoffnungsvolle Passagen auf Latein zitierte, während alle zu den vorgeschriebenen Zeiten saßen, standen oder knieten.
Juliana schmiegte sich an Ians Arm und genoss die Wärme seiner Nähe. Den Kopf wohlig an seine starke Schulter gelehnt, fürchtete sie mehrmals einzudösen.
Wann immer sie ihn ansah, fand sie seinen Blick – zärtlich und bittersüß zugleich –
auf ihr Gesicht gerichtet. Sollte sie zu hoffen wagen? Natürlich würde sie es, beschloss Juliana energisch, und sie würde auch beten.
Schließlich kroch die Wintersonne durch die neu verglasten Fenster und warf ein schwaches Licht über die Kanzel und das obere Kirchenschiff. Irgendwann zwischen den drei Messen, die Vater Dennis las, ohne sich eine Ruhepause zu gönnen, musste es aufgehört haben zu schneien. Der Mann schien nicht müde zu werden.
Als die Morgenmesse sich mit dem fröhlichen Segen des Priesters dem Ende zuneigte, hörte Ian Julianas erschöpften Seufzer, zu dem sich noch andere gesellten.
„Wirst du zur Bescherung kommen?“, fragte sie Ian, als sie Arm in Arm über den Burghof zur Halle gingen.
„Ja, Kit befahl mir, dort zu sein. Aber ich hätte sie auf keinen Fall versäumt.“
Juliana lächelte wissend. „Und ich zweifle nicht, dass sie bereits weiß, was sie sich als himmlisches Dankeschön wünscht.“
Ian drückte ihren Arm fester an sich und bedeckte ihre behandschuhte Hand mit der seinen. „Nicht für sich selbst, erzählte sie mir. Ihre Mutter hat sie angewiesen, mehr an andere zu denken. Kit erklärt, dass sie eine Kerze anzünden und dann um einen Segen für ihren liebsten Freund auf der Welt bitten will.“
„Wie süß von ihr!“, rief Juliana aus. „Sagte sie, was es sein würde?“
Ian neigte den Kopf und zuckte leicht die Achseln. „Ich denke mal, es wird mit dieser scheußlichen Katze zu tun haben, die ich ihr letztes Jahr schenkte. Sie ist ganz vernarrt in das Tier.“
„Das ist sie“, stimmte Juliana ihm zu und machte größere Schritte, um sich den seinen anzupassen. „Kinder lieben ohne Vorbehalt, nicht wahr? Würden die Menschen doch nie diese Fähigkeit verlieren, wenn sie älter werden.“
Ian blieb stehen und sah sie an. „Könntest du nicht vorbehaltlos lieben, Juliana?“, fragte er und hasste die Art, wie er sich selbst quälte. Aber er konnte der Frage nicht widerstehen.
Sie standen an den Stufen, die zum Eingang führten. Julianas Blick traf den seinen, und ohne mit der Wimper zu zucken antwortete sie schlicht: „Doch, dass könnte ich.
Und ich tue es.“
Ian fühlte sich ausgesprochen unbehaglich, als er jetzt ihren Blick suchte. Er wusste, dass sie die Wahrheit sprach. Wie sonst hätte sie fähig sein können, ein Leben in Betracht zu ziehen, das nur Dienen, Buße und Ehelosigkeit kannte?
Seine Eifersucht – so unpassend, dass es nach Sakrileg roch – traf ihn hart. „Ja, nun, du liebst natürlich Gott auf diese Weise. Das versteht sich von selbst.“
Da wurde Juliana still und senkte den Kopf. Ihre Muskeln verkrampften sich unter seinem Griff, als er sie die schneebedeckten Stufen zur Halle hinaufführte. Alles ihn ihm sehnte sich danach, sie zu packen, zu schütteln, ihr zuzuschreien, dass er sie über alles liebte und sie mehr wollte als die Sicherheit des Himmels. Warum konnte
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