2012 – Das Ende aller Zeiten
eine Progression in Gang gesetzt worden ist, die es nötig macht, dass sich eine Art Pilgerzentrum zur entsprechenden Zeit in der Nähe befinden musste, damit alles zusammenpasst …«
»Aber trotzdem verrät uns das noch nicht, was wir wissen müssen«, sagte Boyle. »Nämlich, ob eine Neun-Steine-Version wirklich abwenden könnte, was immer da kommen wird.«
Lindsay sah Boyle einen Moment lang in die Augen, daher schaute ich Marena an. Sie erwiderte meinen Blick, als wollte sie sagen: Ja, Boyle ist ein Arschloch, er wird uns gleich das Messer in den Rücken stoßen, oder er schießt uns aus großer Entfernung in den Rücken und stellt es dann so dar, als wäre es jemand anders gewesen …
»Nun, es ist nur eine Wahrscheinlichkeit in sehr hohem Prozentbereich«, sagte Marena. »Eine hundertprozentige Garantie gibt es nicht. Aber wie im Bericht stehen sollte, habe ich Taros Berechnungen von zwei unabhängigen Lehrstühlen prüfen lassen, und beide sagten, es klinge alles sehr plausibel.«
»Sehen Sie es so«, sagte ich. »Die Vier-Steine-Version des Spiels, die wir im Moment spielen, funktioniert recht gut bei Ereignissen in der Menschenwelt innerhalb von etwa drei Tagen. Ein Spiel mit neun Läufern würde eintausendvierundzwanzig Mal besser funktionieren, und in Begriffen der Vorwarnzeit heißt das …«
»Nehmen wir das einfach als ein Ja«, sagte Lindsay.
Schweigen trat ein. Lindsay blickte Marena an. Ich blickte Marena an. Sie blickte Lindsay an. Ich blickte Lindsay an.
»Also wusste man damals, wie man mit neun Steinen spielt, aber heute wissen wir es nicht mehr«, sagte er.
Ich nickte. Ich nahm einen Schluck Kakao. Aaah. Reizlos, aber trotzdem willkommen.
»Und das ist als Fertigkeit wirklich ein dicker Hund, nicht wahr?Damals hatte Ihr Volk alles im Griff. Die Maya konnten zu dieser Zeit tun, was sie wollten. Richtig?«
»Ich denke schon«, sagte ich. Habe ich nun Schaum auf der Oberlippe, fragte ich mich. »Sie sind für sehr lange Zeit sehr gut zurechtgekommen. Aber natürlich konnte es nicht ewig so weitergehen.« Marena suchte meinen Blick. Ein bisschen weniger sanfte Tour , sagten ihre Augen. Blödmann.
»Darauf wollte ich hinaus«, sagte Lindsay. So rasch und diskret wie möglich wischte ich mir die Oberlippe mit der Unterlippe ab. »Wenn die Maya es so gut wussten, warum haben sie dann nicht die ganze Welt erobert?«
»Vielleicht reicht es nicht aus, nur zu wissen«, sagte ich. »Oder möglicherweise hätten sie es getan, aber aus irgendeinem Grund den Dreh verloren.«
»Wieso?«
»Vielleicht, weil das Spiel nur etwas für Eingeweihte war. Vielleicht haben sie versucht, es allzu geheim zu halten.«
»Also ließen sie andere Leute kein Wasser aus dem Brunnen schöpfen«, sagte er.
»Gut möglich«, sagte ich. »Sie wissen ja, Technologie gerät immer wieder in Vergessenheit. Als zum Beispiel vor gut zehntausend Jahren die ersten Menschen nach Tasmanien kamen, konnten sie töpfern und besaßen seetüchtige Kanus und Fischernetze und eine Menge anderer Dinge. Aber bis zu ihrem ersten Kontakt mit Fremden hatten sie vergessen, wie man so etwas herstellt. Sie wussten nicht einmal mehr, wie man Feuer macht. Sie mussten abwarten, dass ein Blitz einen Baum traf, und dann mussten sie die Kohlen mit sich herumschleppen.«
»Genauso wie heute niemand mehr weiß, wie man einen richtigen Eisbecher mit Sirup und Sodawasser macht«, sagte Lindsay. »Richtig?«
»Definitiv«, sagte Boyle.
»Außerdem«, fügte ich hinzu, »hatten die alten Maya vielleicht ganz andere Prioritäten als wir. Vielleicht haben sie nie die Welt erobern wollen.«
»Selbst heute möchte nicht jeder die Welt erobern«, sagte Marena. »Ich zum Beispiel nicht.«
»Richtig, richtig«, sagte Lindsay. Er schob den linken Ärmel hoch und sah auf seine Uhr, eine silberne Oyster Perpetual an einem braunen Kalbslederband. Statt also auf die digitale Zeitanzeige zu schauen, die gleich vor ihm auf der Live-Tischplatte in einem Fenster dargestellt wurde und die wie alle Computerzeitmesser heutzutage mit der Cäsiumuhr beim National Institute of Standards and Technology in Boulder, Colorado, synchronisiert wurde, die pro Jahrhundert nur eine Picosekunde falsch geht, musste er die Zeit an einem weitaus weniger präzisen Instrument mechanischer Natur ablesen, das sich seit dem 18. Jahrhundert nicht mehr grundsätzlich geändert hatte. Ich sah, wie der zweite Zeiger von 2 auf 3 wechselte. Endlich entschied er, wie spät es war.
»Es ist
Weitere Kostenlose Bücher