2012 – Das Ende aller Zeiten

absondern.
    »Okay«, sagte Marena. »Möchtest du anfangen?« Sicher, sagte ich. Ich hatte darum gebeten, sie möge anstelle von Lisuarte die Stichwörter vorlesen. Das BTP -Team – BTP stand für Bewusstseinstransferprotokoll – hatte darüber abgestimmt und entschieden, das sei in Ordnung. Allerdings wollten sie die neue Ausrüstung vor dem Hauptereignis einmal einem Testlauf unterziehen. Aber wenn es nicht funktionierte, verriet uns das leider überhaupt nichts. Es konnte bedeuten, dass Sor Soledad zu krank war, um sich zu bewegen, oder sonst etwas. Dennoch würden wir auch in diesem Fall mit dem Projekt weitermachen. Funktionierte es jedoch, wären – Warrens hochklassigen Seelenklempnern zufolge – die psychologischen Vorteile gewaltig.
    Ich ließ mich aufs Feldbett sinken. Lisuarte breitete eine dünne Decke über mich, wahrscheinlich weil sie sich sagte, dass ich mich dann besser entspannte. Hmm. Tatsächlich fühlte ich mich bereits ein bisschen schwindlig. Ich schaute auf das Kruzifix und versuchte michin eine mittelalterliche Stimmung zu versetzen. Unter seinem Lendenschurz hatte der Plastik-Jesus einiges zu verbergen. Krümme dich für mich, du heiße, heiße Göttlichkeit. Hoch zum Brustkorb. Hoch den Metatarsus. Hinein mit dem Stamm in deinen Arsch, du heilige Schlampe. Du warst ein böser Gott. Saug meinen Schwamm, König der Itzigs. Ooooooh! Mein Gott, mein Gott. Die Erde erbebet, die Gräber öffnen sich, und die Glieder der toten Heiligen erheben sich und schwellen! Oach, ich werde entzweigerissen! Oben nach unten! OOOOOOOOOH ! OOO …
    »Okay, los geht’s«, sagte Marena. Sie kaute ihr Nikotingummi, aber sie verstand es, damit zu reden, ohne abscheulich zu wirken. »Kannst du uns sagen, was du gestern getan hast?«
    Ich sagte es ihr.
    »Okay. Samarkand ist die Hauptstadt welchen Landes?«
    »Kasachstan.« Auf dem Bildschirm strahlte die stille grüne Schlinge eines Wolkenblitzes im Gewittergewölk meines ventromedialen Kortex.
    »Wie spät ist es?«
    »Ein Uhr achtzehn.«
    »Welches Datum haben wir heute?«
    »15. März 2012. 7 Zuckerrohr, 6 Dunkles Ei. Im Chinesischen Kalender ist es der dreiundzwanzigste Tag der zweiten – «
    »Okay, was war heute in den Nachrichten?«
    »Na ja, das FBI hat diese Hijos de Kulkulkan verhaftet.« Die HDK waren eine neue Art pseudozapatistischer Gruppe aus Austin, eine Art Maya-Version der Nation of Aztlan. Angeblich hatten sie auf einer Kundgebung die Verantwortung für den Disney-World-Horror übernommen – aber No Way hatte von Subcomandante Carlos, der den Verein sozusagen anführte und früher zu Enero 31 gehört hatte, gehört, dass die HDK nichts damit zu tun hätten. »Und damit wäre der Passus von wegen Schultern der Schuld im Codex auch abgehakt.«
    »Ja. Was noch?«
    »Äh, ein Haufen Leucht… – ich meine, etwa achttausend Personen, die Poloniumpartikeln ausgesetzt waren – sind aus Quarantänelagern entkommen und kampieren jetzt außerhalb von Washington D. C. Und das Weiße Haus sagt, es wird die Marschierer abfangenund daran hindern, den Großen Rasen zu erreichen. Äh, schauen wir mal … es heißt, man schätzt die Menge auf Polonium-210 im Sperrgebiet auf zweihundertfünfzig Kilogramm, und das heißt, man wird den Ort noch lange Zeit nicht ohne Schutzvorkehrungen betreten können. Außerdem gibt es einen Engpass an Strahlenschutzanzügen, weil die meisten davon sich in Pakistan befinden, und achtzig Prozent der Anzüge in den USA sind defekt. Öh … gibt es diese vielen Videos von Toten, und die Regierung versucht YouTube zu schließen, weil sie nicht will, dass die Leute sie sehen, und die ACLU hat gestern Klage eingereicht, mit der die Regierung gezwungen werden soll, alles öffentlich zu machen. Und einige dieser Aufnahmen sind wirklich ziemlich unheimlich.« Ich dachte an ein Video von Teilnehmern des MegaCon. Aufgenommen worden war es auf dem Hauptausstellungsstockwerk in der Riesenhalle. Man hatte auf einer Fläche in ihrer Mitte die Stände abgebaut, und ungefähr zweihundert Teilnehmer waren dort auf einem einzigen gewaltigen Haufen zusammen gestorben, weil kranke Menschen sich um Kontakt bemühen. Die meisten der Leichen waren verkrümmt und hatten den Mund aufgerissen oder das Gesicht verzerrt, doch wie es schien, waren sie auch allgemein übergewichtig, und die Hälfte von ihnen trugen noch immer die Kostüme, mit denen sie sich als Orks, Hyperboreaner oder Klingonen verkleidet hatten, was dem ganzen einen