2012 – Das Ende aller Zeiten
hindurch – Affen, Wickelbären und Eulen oder auch, nicht auszudenken, Jaguare. Wir fuhren durch akustische Gebirge kleiner Schnalzlaute, die, wie mir klar wurde, Blätter kauende Raupen verursachten, und durch Zonen, in denen das trockene Raspeln von hundert Grillenarten sämtliche anderen Geräusche übertönte, sowie durch Gürtel, wo unzählige Aga-Kröten grunzten wie eine Flotte alter Dieseltraktoren, die ein Heer von Bauern vergeblich zu starten versucht – ein Klang, der in meiner, das heißt in Jeds Kindheit dieselbe verheißungsvolle Bedeutung hatte wie jetzt: BALD REGNET’S , und was, wie mir gerade einfällt …
Das war es. Das hatte mir 2012, als ich mit Marena hier gewesen war, in der Klangkulisse gefehlt.
Sie können doch nicht alle ausgestorben sein, dachte ich. Oder?
Vermutlich doch. Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe sind ein ziemlich heftiges Mistzeug.
Trotz des Lärms nahmen Schakals Ohren wahr, dass irgendetwas nicht ganz normal war. Vielleicht war es ein bisschen zu geräuschvoll. Oder der Klang stimmte nicht. Vielleicht, weil keine Eulen da waren. Eulen sind sehr klug, dachte ich. Sie wissen, dass der Vulkanausbruch irgendetwas durcheinander gebracht hat, sie kennen die Wetterregeln.
Und die anderen Geblüte spürten es auch. Sie wirkten angespannt, steif, und das lag nicht nur an mir. Und nicht nur an der politischen Belastung. Alle waren unruhiger als sonst. Seismische Aktivität macht alles Getier nervös. Erdbeben. Riesen in der Erde.
Als der Fluss breiter wurde, passierten wir andere Kanugruppen. Bei einigen brannten Binsenlichter im Bug. Noch vor Morgengrauen hatten wir uns in den strömenden Handelsverkehr eingefädelt. Wirlegten ein schnelles Tempo vor und überholten Dutzende anderer Boote. Manchmal hörte ich 12-Kaiman im zweiten Boot der Vorhut den Fischern befehlen, ihre Reusen aus der Fahrrinne zu nehmen.
Kurz vor Sonnenaufgang floss die Gelbe Straße bei einer Kleinstadt namens Ort des Ständigen Rauschens, dessen Ruinen einmal als Tres Islas bekannt sein sollten, in die Graue Straße, dem späteren Río San Diego. Wie Tyros hatte das Städtchen sich bis über seine Halbinsel ausgebreitet, und neue Bauten erhoben sich direkt aus dem Wasser. Ich erhaschte einen Blick auf das ständige Feuer in den Augen der kleinen mulob’ und auf Straßenkehrer, die einen baumlosen Marktplatz fegten, der von hohen Fackeln erhellt wurde wie von Straßenlaternen. Das Wasser sah wie abgetretenes schlachtschiffgraues Linoleum aus, und das Ufer war ein Einerlei aus avocadogrünen Sapotenplantagen und halbgeflochtenen halach yotlelob , erhöhten Kornspeichern oder Trockenscheunen. Im zweiten Dreizehntel des Tages vereinigte sich der Fluss mit der breiteren und schnelleren Aynbe, der Straße der Krokodile, die später Río Pasión hieß. Man konnte ein wenig von einer Stadt namens Chakha’ sehen, »Rotes Wasser«, das spätere El Ceibal, ein geduckter weißer Steinhaufen aus Palästen und Speichern, die wie Zuckerwürfel an einem Hügel gestapelt waren, sodass man nicht unterscheiden konnte, was gebaut und was aus dem Fels gehauen war – und dann war sie verschwunden, als der Fluss in einer Schleife nach Süden führte.
Als vor uns schäumendes Wasser zu hören war, lenkten die Bootsführer uns an ein befestigtes Ufer, und eine Gruppe von Trägern entlud die Kanus, hob sie über die Köpfe und lief damit den Treidelpfad entlang. Während ich aus dem Boot gelüftet und hinterhergetragen wurde, sah ich zwischen Hütten und Pfahlwerk die Wasserfälle, seltsam gleichmäßige Katarakte über geraden weißen Flächen aus verkrustetem Kalkstein. Hun Xoc sagte, das seien Opferstufen, die die Schlammkinder während der dritten Sonne erbaut hätten. Wir schossen durch eine Stromschnelle der Kategorie 2 auf dem Weißen Pfad des Brüllers zu, wie wir den Fluss nannten. Später sollte er Río Usumacinta heißen.
Der Usumacinta ist auch als der Maya-Nil bekannt. Doch der Nilfließt ziemlich gerade durch ebene Wüste; er überflutet sie und zieht sich mehr oder weniger planmäßig wieder zurück. Der Usumacinta jedoch windet sich um Berge und durch Schluchten; er wird im Flachland breiter und langsamer und fließt in großen Schleifen dahin. So beschwerlich die Reise war – in einem Land ohne Räder und Pferde oder auch nur Lamas blieb keine andere Wahl.
Mit einem fettigen, satten Mauve zog die Dämmerung herauf. Die Farbe ließ erkennen, dass wir keine gewöhnlichen Wolken über uns
Weitere Kostenlose Bücher