2012 – Das Ende aller Zeiten
Eichhörnchen in den Zweigen. Eine Nachtschwalbe schwirrte davon. Der Pfad verengte sich zu einer Trampelspur. Inzwischen waren wir weit entfernt von allen Dörfern, aber noch immer im Jagdgebiet der Harpyien-Geblüte. Der Weg wurde zunehmend verschlungener und umwand dicht stehende, gigantische Bäume. Selbst mit Schakals Augen war in der Dunkelheit nicht viel zu erkennen, doch meine Füße fanden unwillkürlich die Stellen, auf die mein Vordermann getreten war.
Wer uns nachspürte, würde nicht feststellen können, wie viele wir waren. Jedenfalls nicht anhand der Fußspuren. Und wer sich hier im Dschungel aufhielt, ein Pelztierjäger, Schmuggler oder Spion zum Beispiel, der nicht direkt neben dem Pfad herlief, würde sicher nichts von uns hören. Durch die Hirschleder-, Schilfgeflecht- und Gummilagen meiner steifen, neuen Sandalen konnte ich zertretenes Carrycillo-Grasspüren. Wir kamen an drei winzigen Dörfern vorbei, die alle uns gehörten. Nach dem dritten ließ Hun Xoc sich zurückfallen und nahm mich aus der Reihe. Zwei der jüngeren Geblüte, die meine Größe hatten und zu meiner Sicherheit genauso gekleidet waren wie ich, taten es uns gleich. Hun Xoc flüsterte, dass meine Knie noch nicht verheilt seien, nachdem man mir die Schwielen abgeschmirgelt hätte. Ich entgegnete, sie seien in Ordnung. Er berührte das rechte Knie. Es nässte. Er gab den Trägern ein Zeichen. Vier traten aus der Reihe und knieten nieder. Wir anderen, einschließlich Hun Xoc, kletterten in die kleinen Sitze und schlangen die Beine um die Taille des jeweiligen Trägers. Mein Träger erhob sich, legte die Arme um meine Knie, um sie an sich zu drücken, und rannte nach vorn, wo er meinen vorherigen Platz einnahm und wieder Tritt fasste.
Knapp dreißig Kilometer von unserem Ausgangspunkt entfernt wandte der Weg sich nach Norden, aus dem Hochland hinunter in unbewirtschaftetes Buschland, und endete an einer Wand aus schwarzem Laubwerk. Von dort war ein Rauschen zu hören, das Schnarchen von Großonkel Gelbe Straße. Sie führte nach Norden zur Salzwüste und an den weißen Rand der Welt.
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In langer Reihe marschierten wir den Hang hinunter in ein schwarzes Tal, das die Negativionenenergie des Flusses erfüllte. Die Reihe wurde langsamer und rückte zusammen. Ich war ein »Jadebündel«, etwas, das geschützt werden musste, darum scharten sich fünf Geblüte um mich, aber zwischen ihnen hindurch konnte ich die Hütten der Bootsführer ausmachen, die sich umrisshaft gegen den grauen Wassergürtel abhoben, den Fluss, der später Río Sebol heißen sollte und der jetzt Ka’nbe , Gelber Weg, genannt wurde. An dieser Stelle war er etwa zehn Meter breit und stand nur ein bisschen über dem Winterpegel. Der Fluss wirkte kaum schiffbar, doch am Ufer waren wenigstens vierzig kleine Zehn-Mann-Kanus aufgestapelt. In knapp drei Minuten hatten die Diener die Lasten aufgeschnürt, von den Schlitten genommen, in gummiertes Tuch eingeschlagen und nach Anweisung der Bootsführer in die Kanus verladen. Nirgends brannte auch nur eine Fackel. Wahrscheinlich hätten sie die ganze Aktion auch mit verbundenen Augen erledigt.
Unsere Träger klappten die Schlitten zusammen. Wir stiegen aus den Sandalen. 12-Kaiman opferte ein Bündel einem großen Felsen, der teilweise das Uay des Flusses enthielt, während der Bootsführer uns in die Kanus setzte. Die Geblüte waren auf die letzten fünf verteilt, ausgenommen die Nachhut, die uns in zwei Kanus auf zehn Bootslängen Abstand folgen würde. In jedem Kanu saßen acht Passagiere, vier Geblüte und ihre Begleiter, zwischen dem Bootseigner, der mit einer langen Stange auf einem vorstrebenden Brett im Bug stand, und dem Rudergänger im Heck. Mich setzten sie in das vorletzte Kanu, die sicherste Position. Als ich den Fuß hineinstellte, gab es unter mir nach. Es bestand nicht aus Holz, sondern war aus Binsen geflochten oder vielmehr gebunden. Mich überfiel das alte Gefühl des Zustandswechsels, das einen ereilt, wenn man sich in das fließende Element mit seinen unterschiedlichen physikalischen Gegebenheiten begibt, und schon hatten wir stromabwärts abgelegt. Die Sterne verschwanden, als Wolken aufzogen, und wir bewegten uns in der schaurigen, weil verschwommenen Dunkelheit. Trotzdem zündete der Bootsführer nicht die Bugfackeln an und stakte uns nach Gefühl und dem gelegentlichen Glimmen von Leuchtpilzen und Glühwürmchen. Zwischen unsichtbaren Baumstämmen schauten die Augen der nachtaktiven Tiere
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