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2012 – Das Ende aller Zeiten

2012 – Das Ende aller Zeiten

Titel: 2012 – Das Ende aller Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian D’Amato
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präsentieren. Selbst wenn man hundert Jahre alt war, selbst wenn man an allen vier Gliedern gelähmt war, selbst wenn es in Strömen regnete, musste man da sein – erst recht, wenn es in Strömen regnete, damit man für den verdammten Regen danken konnte. Und wenn sie einen irgendwie nicht nach draußen schleppen konnten, wurde man gehängt. Also war ein bisschen frische Luft keine schlechte Idee.
    Das Trommeln verklang im allgemeinen Gesang, einem tiefenWehklagen in einer Sprache, die noch weniger Konsonanten als das Hawaiianische zu haben schien. Ich brummte hinter meinem Mundkamm einfach vor mich hin. Später hörte ich, dass angeblich keiner mehr wüsste, was die Worte zu bedeuten hatten. Vielleicht brummten alle nur vor sich hin. Ich schwöre Treue der Flagge   … Achtet nicht auf mich, ich bin nur eines von den Schafen.
    Der Gesang verstummte. Wie alle anderen nahm ich eine Handvoll Sand vom Weg und löschte damit mein Weihrauchfass. Wir stiegen den letzten Abschnitt der breiten weißen Treppe hinauf in die kühlere Luft des Passes durch ein großes karamon-ähnliches Zeremonientor und über den Kamm des Kreises …
    »B’aax ka mulac t’een?« , fragte 2-Hand. »Aber wo ist die Stadt?«

DREI

    STADT DER SCHNEIDEN

DIE SEEN
DER SCHWINGEN

BEZIRKE TEOTIHUACÁNS IM JAHRE 664 N. CHR



(45)
    Ein See aus Nebel erfüllte das Tal unter uns, und nur der breite Kegel des Cerro Gordo, des Weißen Bergs der Stadt, hob sich gegen den grauen Himmel ab. Wir standen an einem Pass am Südrand des Talkessels, und die Stufen der Straße vor uns führten zwischen großen, klotzigen, mit Stuck verzierten Villen den langen Grat hinunter, von dem ich wusste, dass es sich um eine glatte Schwemmebene handelte. Das ist kein Nebel, dachte ich, das ist Rauch von Kopalopfern in ein paar hunderttausend dieser kleinen Räucherbecken. Gerade rechtzeitig löste sich vom oberen Rand der Schüssel voll unbewegter Luft ein Rauchschleier, und man konnte fast auf gleicher Höhe mit uns im Nebel erst ein, dann drei orangefarbene Lichter erkennen, eines weiter weg genau vor dem Cerro Gordo und zwei näher und rechts von dem Berg; dann ließen sich gerade eben Umrisse unter ihnen ausmachen, und es wurde klar, dass die Lichter von den Wachtfeuern auf den Spitzen der drei großen mulob’ stammten: am Nordende, am weitesten von uns entfernt, die mul der Jadehexe, rechts die gewaltige Hurrikan- mul und schließlich, kleiner als die beiden anderen, die indigoblaue mul der Kinder des Sternenrasslers. Andere Feuer wurden nun im Grau sichtbar, jedes an der Spitze einer von Hunderten anderer mulob’ , die allesamt nicht so hoch aufragten wie die Riesen, aber auch keine Zwerge waren. Je mehr sich der Rauch hob und zerteilte, desto mehr feste Umrisse schälten sich aus dem Nebel, sehr feste Umrisse, die durch langsame Ablagerung zu wachsen schienen wie Alexandritkristalle in einer Glasschale im Labor, ein Skelett im Molekülmaßstab, das sich in eine Juwelenlandschaft für Riesen verwandelt.
    Als ich die Stadt dreizehnhunderteinundfünfzig Jahre später als Ruine zum ersten Mal sah, war ich ein Stadtmensch des ausgehenden 20. Jahrhunderts, der sich mehr als nur ein bisschen auf Düsenflugzeugeund Wolkenkratzer einbildete, und trotzdem hatte der Anblick mich überwältigt. Für einen Mesoamerikaner aus dem 7. Jahrhundert konnte es keinen fassbaren Zweifel daran geben, dass er das Paradies auf Erden vor sich sah, die größte Stadt, die es je gegeben hatte und je geben könnte, dass sie von Göttern errichtet worden war, ehe es Menschen gab, und dass ihre heutigen Herrscher die Nachkommen dieser Götter sein mussten, die unangreifbar im Zentrum der dreiundzwanzig Schalen des Universums saßen. Im Englischen, Spanischen, Ch’olan, Klingonischen oder irgendeiner anderen Sprache gab es keine Wörter, um die unirdische Ehrfurcht zu vermitteln, die diese Stadt auf dem Höhepunkt ihrer Macht erweckte. Ehe man die Menschenmassen sah, konnte man sie hören und spüren, als legte man die Hand an die Außenwand eines Bienenstocks, und dann, als Nächstes, sah man, dass alle waagerechten Flächen von orangefarbenen, schwarzen und grauen Stäubchen wimmelten – dass die Stadt randvoll war. Völlig unmöglich, diese Menschen alle irgendwo unterzubringen, dachte ich. Das kann nicht die normale Bevölkerung sein. Sie müssen im Freien schlafen, und zwar übereinander. Aufgebläht … aufgedunsen …
    Wie bei Ix hatte nur ein kleiner Teil der Bauwerke bis ins

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