2012 – Das Ende aller Zeiten
mul war der gigantische Bau mächtiger und bösartiger Riesenkatzen, transmortaler, kosmischer Raubtiere, die miteinem bloßen Gedanken töten konnten und seit dem Entstehen der Zeit Herrscher der nullten Ebene waren. Mit Pumas legte man sich nicht an, nicht mit den lebendigen und erst recht nicht mit den toten.
Dennoch hatte Koh sich irgendwie durch die Formation geschoben, und flankiert von ihren Wächtern bahnte sie sich einen Weg über die Leichen auf der Null-Stufe, der untersten, und dann auf Stufe 1 und Stufe 2. Die Stufen waren hoch, und sie musste jede mit dem Knie erklimmen und das andere Bein nachziehen, um dann zwei Schritte auf der Stufenfläche zu gehen und den Vorgang zu wiederholen. Doch sie tat es mit Stil. Auf der dritten Stufe schwankte sie ein bisschen, aber der Wächter linker Hand brauchte sie nur eine Sekunde lang zu stützen, dann hatte sie sich wieder gefasst. Derweil juchzten hinter uns die Puma-Geblüte, und ein Speer flog über uns hinweg und klirrte fünf Armlängen von ihr entfernt gegen den Stein. Koh kletterte auf die nächste Stufe.
Vielleicht hätte sie das vor zehn Tagen noch nicht getan. Womöglich war sie erst zur Skeptikerin geworden, seit sie mich kannte. Wie dem auch sei, manchmal braucht es nur einen Menschen, der einer Autorität trotzt, und alle anderen folgen nach. Als unser ganzer Trupp, die Rassler-Akolythen, die Gilas und selbst unsere Harpyien-Geblüte sahen, wie Koh in aufrechter Haltung die mul erklomm und dabei weder schwankte noch zögerte, schienen alle zu dem Urteil zu gelangen, dass ihr Beschützer die Hand über sie hielt und dass Sternenrassler die Himmelsschlacht gewonnen hatte, und sie stürmten ihr hinterher und brüllten ihre Schlachtrufe, als hätte der Tag gerade erst angefangen. In dem Moment wären sie vermutlich nicht einmal überrascht gewesen, wäre Frau Koh auf dem Wasser gewandelt oder zu einer Dreißig-Meter-Riesin gewachsen oder hätte sich in den Rassler verwandelt und die Stadt und die Sterne verschlungen. Jedenfalls preschten die Gilas voran und die Stufen hinauf. Die Rassler-Geblüte und Akolythen folgten ihnen, und meine eigene kleine Entourage von Harpyien lief mit. Ich wurde ganz aufgeregt und flitzte über einen kleinen Berg verschwenderisch ausgestatteter Leichen die erste Stufe hinauf. Es war, als wollte man an einem gelierten Wasserfall hochklettern. Bei der achten Stufe erlahmte ich. Weiter, Jed. Beweg dich. Igitt.Bewegen. Endlich fühlte ich den klebrigen Putz der Stufe unter den Händen. Ich kroch auf die nächste. Ha. Wir waren auf der Treppe. Hoch. Vorwärts, blasenbedeckte Schultern. Hoch.
Hoch. Komm weiter. Los. Weiter. Stufe.
Hoch. Müde. Komm weiter.
Noch eine Stufe. Na ja, noch 362. Kein Problem. Hoch.
Noch eine.
Ich schaffte sie.
Noch eine. Stufe. Gut. Noch eine. Stufe. Uff.
Stufe.
Uff. Auf keinen Fall.
Komm weiter. Stufe.
Ich gab mir Mühe. Es ging nicht. Ich stemmte mich mit der Brust über die Kante. Ich rutschte zurück und drückte die Knie in die Innenkante.
Kann nicht weiter. Lasst mich bloß für ’ne Minute sitzen. Was ging eigentlich vor? Ich warf einen Blick bergauf.
Die Treppe fasste zwanzig Leute nebeneinander, und wir mussten uns verteilen, um diese Breite abzudecken, also befand sich unsere vorderste Reihe mit 12-Kaiman und der Vorhut nur drei Stufen über mir. Die Leute, die schon auf der Pyramide gewesen waren und versucht hatten, abzusteigen, bevor wir hinaufstürmten, stachen mit ihren Paradespeeren nach unseren Geblüten und versuchten, sie hinunterzustoßen. Doch die Pumas waren hauptsächlich Alte und wurden von ihrem schweren Feststaat und dem gewaltigen Kopfputz behindert, den sie seltsamerweise nicht abgenommen hatten. Sie nahmen nur fünf oder sechs Stufen ein – waren also etwa hundertzwanzig Leute – und darüber erstreckte sich die nackte Treppe bis hinauf zum Teocalli.
12-Kaiman brüllte seinen Hauptleuten neue Befehle zu, die sogleich an die Geblüte weitergegeben wurden. Langsam gruppierten sie sich um. Von da, wo ich kauerte, sah es aus, als hätte 12-Kaiman die besten Kämpfer auf der linken Treppenseite positioniert, das heißt auf der Nordseite, und die schwächeren rechts. Dann ließ er die linke Flanke ein paar Stufen erstürmen, während die Geblüte rechts, auf der Südseite, sich ein wenig zurückzogen; dabei schoben sie einige ihrerMänner mehr zur Mitte hin. Dann hetzte die ganze Reihe zwei Stufen hinauf, die Schilde auf den Schultern, und rammte die eher
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