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2012 – Das Ende aller Zeiten

2012 – Das Ende aller Zeiten

Titel: 2012 – Das Ende aller Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian D’Amato
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so, als würde sie sich aus einem dreidimensionalen Wesen in ein vierdimensionales verwandeln. Unter mir lagen die Plätze und privaten Höfe offen da wie ein narkotisierter Patient, den man auf einem Tisch seziert, gefärbt und plastiniert hat. Zu meiner Linken führte die große Treppe in den Hof der Pumas hinunter. Er wogte von Köpfen. Um das Freudenfeuer lag ein Kreis verkohlter Leichen, aber davor, an einer Stelle, wo die Hitze schätzungsweise auf sechzig Grad absank, steckten wenigstens zwölftausend Leute fest, gefangen zwischen der Hitze der brennenden Pagode und den hohen Mauern. Sie waren weit weg, und es dauerte eine Minute, bis ich meine beduselten Augen scharf gestellt hatte. Als ich dann ein klares Bild hatte, konnte ich erkennen, dass die Leute entweder in der Hitze tanzten oder von der Hitze tanzten. Sie sprangen und hüpften in einer gigantischen Disco der Qual.
    Gusanos , Agavenwürmer, sind in Lateinamerika eine Delikatesse, und einmal, als ich drei oder vier war – das ist eine meiner frühesten Erinnerungen –, war ich bei meiner Großmutter, und sie briet etwas in der Pfanne. Als ich hineinschaute, entdeckte ich etwas, das für mich wie augenlose Babys aussah, die sich in dem spritzenden Fett wanden, lauter zappelnde Tote, und ich glaube, ich habe geweint odergeschrien, und Tio Generoso hat mich ausgelacht. Später mochte ich diese kleinen Dinger. Aber jetzt schoss mir das Bild jenes ersten Anblicks durch den Kopf, dieses Augenblicks, in dem ich ihre Qual mit präverbaler Empathie in mich aufgenommen hatte, und mir war, als wäre alles zwischen jenem Moment und dem jetzigen vollkommen trivial gewesen. Es zählte nur, dass diese und eine Quadrillion anderer Lebewesen in kosmischem Ausmaß betrogen wurden oder werden würden und die ganze Schöpfung deshalb nichts anderes war als ein Irrtum.
    Einen oder zwei Menschen umzubringen kann sich zunächst merkwürdig anfühlen, aber viele zu töten fühlt sich auf eine andere Art seltsam an. Besonders, wenn man zusieht, wie es passiert. Das habe ich nicht gewollt, dachte ich. Oder zumindest gab es einen guten Grund dafür. Du hast mehr mit dem Kerl auf der anderen Seite gemein. Immer wieder zogen mir dieselben dummen Phrasen durch den Kopf: Ich wollte eigentlich nicht, dass sie umkommen, ich wollte gar nicht, dass sie umkommen, es gab keine andere Möglichkeit, keine andere Möglichkeit, keineanderemöglichkeit. Hör auf, dachte ich. Du suhlst dich in deiner Schuld, damit du selber als netter Mensch vor dir dastehen kannst. Du bist kein netter Mensch. Du bist ein Scheißkerl.
    Aber wir hatten es getan. Wir hatten gesagt: »Stürmt die mul «, und wir hatten sie gestürmt. Wie hatten wir das geschafft?
    Dank des Balsams und der erprobten Kumpelmethode, uns gegenseitig die Augen zu lecken, konnten die meisten von uns sehen, aber viele andere nicht. Außerdem hatte die schiere Überraschung wahrscheinlich eine Menge ausgemacht. Und ein bisschen Organisation und Planung – und auf alles gefasst zu sein, was passieren kann – dürfte auch kein unwesentlicher Faktor gewesen sein.
    Obendrein hatten die Pumas unten auf dem Platz viel zu viel Ehrfurcht vor den heiligen mulob’ , um gegen das Verbot zu verstoßen und hinaufzusteigen, selbst wenn das hieß, verbrennen zu müssen. Wirklich, das Entscheidende war, dass ich nicht gläubig war, und Koh … nun ja, sie glaubte vielleicht noch ein bisschen an den ganzen Kram, aber nicht mehr so stark wie zuvor. Aberglaube mag die mächtigsteWaffe der Welt sein, aber der Zweifel stellt eine ziemlich gute zweitmächtigste Waffe dar. Cortez war ungläubig, und das hat ihm sicher genützt. Wo wir gerade davon reden – als er und seine Leute in Tenochtitlán abgeschnitten und umzingelt wurden, taten sie dasselbe wie wir. Sie überstanden es oben auf der mul des Huitzilopochtli. Vielleicht wollten die Eingeborenen ihnen einfach nicht dorthin folgen …
    Hoppla. Da ist sie.



(60)
    Koh kletterte die letzte Stufe hoch und trat auf die Tempelterrasse. Ihre Wächter ließen die schützenden Decken sinken und traten zur Seite. Koh trug noch ihre grüne Maske, doch ihre Arme waren nackt, einer blass und der andere kräftig blau-schwarz von ihrer Vitiligo. Ihr Kostümierer hatte ihren Federkopfputz festgebunden – ich war beeindruckt, dass sie mitten in einer Schlacht die Zeit gefunden hatte, über ihre Frisur nachzudenken, aber Frauen sind wahrscheinlich so –, und der Feuerschein hinter ihr warf einen Nimbus über

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