2012 – Das Ende aller Zeiten
an allem –, dass, weil sich so viel Schwachsinn zutrug, der Hippogriff-Zwischenfall in dem Wirrwarr vielleicht vergessen wurde. Laurence hatte gesagt, dass die Drei-Buchstaben-Dienste der USA – und natürlich die belizischen, guatemaltekischen, mexikanischen Geheimdienste und jene des britischen Protektorats – im Augenblick an so vielen Fällen gleichzeitig zu arbeiten hatten, dass sie wahrscheinlich höchstens zwei Leute entbehren konnten, die die Sache untersuchten. Zumal sie sich vermutlich sagten, dass da nur irgendein Rauschgift schmuggelnder Milliardär rasch Guatemala verlassen musste. So bizarr es klingt, wir kamen vielleicht straflos davon. Womöglich ersetzte die Versicherung sogar den Hippogriff.
Kurz vor Sonnenaufgang kehrte ich ins Labor zurück. Michael roch, als hätte er nicht geschlafen. Marena und Taro waren schon dort. Ebenfalls anwesend, aber nicht besonders willkommen, war Laurence Boyle, der sich – nachdem wir einigen Erfolg zu vermelden hatten – wiederzu einem Firmen-Erbenzähler zurückentwickelt hatte, der sich ständig über die Kosten beklagte. In der hellen weißen Welt der Handschuhbox hatten sie die letzten sechs Seiten eines der drei Leporellobücher ausgebreitet. Unheimlicherweise waren die undurchbrochenen Zeilen verschlüsselten Textes in meiner eigenen Handschrift. Die Seiten waren von den diversen Kameras fotografiert worden, die sich auf dem Deckel der Box drängten, und Jed 2 s letzter Brief – sie nahmen sie sich in umgekehrter Reihenfolge vor – war bereits decodiert. In der Zwischenzeit war auf der anderen Seite der Box eines der an Kanopenkrüge erinnernden Gefäße geöffnet worden, und behandschuhte Hände kratzten Proben aus der schmutzig aussehenden Harzmasse darin. In einer Stunde gingen sie per Kurier zur Analyse in die Lotos-Laboratorien in Salt Lake City.
»Möchten Sie Ihre Nachricht lesen?«, fragte Michael.
Ich suchte nach einer sarkastischen Antwort, nickte dann aber nur. Michael holte den entschlüsselten Text auf den Bildschirm.
Mir war sehr merkwürdig zumute. Ich konnte mir meine eigene Stimme vorstellen, aber nicht viel von dem, was mein Zwilling getan und gesehen hatte. Einerseits war es mir peinlich, dass er nicht alles geschafft hatte, andererseits konnte ich kaum glauben, dass ich – oder er – so viel zuwege gebracht hatte, und kam nicht umhin, stolz auf mich zu sein, auch wenn, oder eigentlich weil ich persönlich nichts mit dieser Leistung zu tun gehabt hatte …
[entschlüsselt]
Neues Schlüsselwort: JBNNUIIDSXJWNNQOBEOOFLCOPRTXSVQCDFEHJRMR
Jed DeLanda
Auf dem Weg zum Gehäuteten Berg
(Monte Albán, Oaxaca)
An das
Team Chocula
I
x Ruinas, Alta Verapaz, Republik Guatemala
Mittwoch, 31.
März 664 n. Chr., gegen elf Uhr morgens
Liebe Marena, lieber Taro, Michael, Jed1 et al.:
Sechsundvierzig von uns, dem Kern unserer Formation, gelang es, die Vorstädte von Teotihuacán zu durchqueren, und vor achtzehn Sonnen erreichten wir die Männer von 14-Verwundeter am Treffpunkt. 14 hat fast die Hälfte seiner Abteilung verloren, und seine Späher sagen, dass die Überreste der Puma-Sippen, die sich unter Abgetrennte Rechte Hand reorganisiert haben, angriffen und jedes Gila- und Rassler-Kind erschlugen, das sie im Tal von Teotihuacán antrafen. Jetzt sind sie uns auf den Fersen. Ein Kreis der Vernichtung und des Feuers, vieles davon offenbar selbst verursacht, scheint sich von den Ruinen der Metropole auszubreiten wie ein sich ausweitendes Schluckloch. Wir durchqueren Dörfer, die sich zu Tode gehungert haben, weil sie glaubten, dass es keinen Sinn mehr habe zu essen, da die Welt zu Ende gegangen sei.
Allerdings gibt es hier noch immer lebende Menschen. Viele von ihnen sind nun heimatlos, oder sie möchten nicht nach Hause zurückkehren und schließen sich unserer Karawane an. Unsere Zahl wächst daher immer weiter.
Die meisten von ihnen sind keine Kämpfer. Heute Morgen aber hat Frau Koh ungefähr hundert Herolde
– ich benutze dieses Wort, um eine Berufsbezeichnung zu umreißen, die »Meldeläufer«, »Anwerber« und »Missionar« umfasst
– ausgesandt, um aus den Gruppen von Sternenrassler-Pilgern, die im unverbrannten Teil des Seenlandes noch immer unterwegs sind, Männer im kampfesfähigen Alter auszuheben und aus ihnen Zwanzigertrupps zu bilden. Außerdem überbringen sie den Oberhäuptern einiger Ortschaften, die
en masse
zum Weg des Rasslers übergetreten sind, die Nachricht, dass Frau Koh sie bitte, sich
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