2012 – Das Ende aller Zeiten
Manchmal ist er sogar der Zug, durch den man verliert.
Taro war vom Ergebnis sichtlich enttäuscht gewesen – es gab keinen Algorithmus, keine geheime Formel, nichts, was man einem Computer beibringen konnte, damit er einem sämtliche Probleme löste. Taro wünschte sich einen Abschluss irgendeiner Art. LEON war sein Baby. Er hatte sehr gehofft, dass unser Fund einige Lösungen für seine Gleichungen enthielt. Stattdessen erhielten wir erheblich mehr überliefertes Wissen über das Opferspiel, Strategien, fünf Krüge mit Tierteilen und die Blutblitz-Drogen, das Tzam lic – die LEON s Rechenleistung ebenso wenig verbesserten, wie wenn man ihm Kaffee auf die Festplatte schüttete. Ich versuchte ihm klarzumachen, inwiefern das Spiel sich nicht in Regeln fassen lasse, inwieweit es eine vollkommen eigene Art des Daseins sei und wieso seine Handhabung genausowenig von einem Geheimnis umgeben sei wie die Bedienung eines Cellos, aber er war nicht in der Stimmung, mir zuzuhören. Er war mit Leib und Seele Wissenschaftler. Wenn es für ein Problem keine Lösung gab, die man an die Tafel schreiben konnte, dann war sie nicht Teil seines Welterklärungsmodells.
Und wirklich, wieso waren wir überhaupt auf den Gedanken gekommen, man könnte das Opferspiel auf einem Computer laufen lassen? Das Spiel war als eine Linse für den Geist konzipiert, nicht für einen noch zu erfindenden Apparat. Damit ein Computer das Spiel wie ein Mensch spielen konnte, musste man ihn so bauen, dass er genauso massiv parallel dachte wie ein menschliches Gehirn. Und sogar LEON war davon noch meilenweit entfernt. Ganz egal, wie viel mehr Computer wissen als wir, und ganz egal, wie schnell sie ihre Daten verarbeiten können, für sie sind und bleiben es Einsen und Nullen.
Kaum hatten wir von den Drogen gelesen, wollte ich sie natürlich aus der Schüssel futtern wie Fluffernutter, noch ehe begonnen worden war, das Zeug zu analysieren. Und das ließ man natürlich nicht zu.
Ich hätte nicht gedacht, dass man sich deswegen so sehr anstellen würde. Ich wiederholte immer wieder, wir sollten Jed 2 beim Wort nehmen, die Dosis abschätzen, die er abbekommen hatte, und es einfach mal versuchen. Aber die guten Leute von Lotos Labs – der psychopharmakologische Zweig der Warren Research Group – wollten den Stoff zuerst analysieren. Sie sagten, sie seien zu dem Schluss gekommen, dass die beiden aktiven Bestandteile des Tzam lic ein dem Bufotenin verwandtes Tryptamin und ein Benzamid waren, das den künstlichen Ampakinen wie CX 717 ähnelte. Im Zusammenspiel bewirkten sie jedoch ein stark erhöhtes Niveau der Neuronenaktivität in bestimmten Bereichen der Hirnrinde. Noch entscheidender war vielleicht, dass die ersten tomographischen Untersuchungen an Seeschnecken während der Phase der Bioverfügbarkeit des Tzam lic ein »beispielloses Anwachsen der synaptischen Plastizität« ergaben, also einen gewaltigen Anstieg der Anzahl neuer Verbindungen und der Vielfalt ihrer Typen und Längen. Im Laufe der Zeit würde dieses Wirkstoffgemisch beim Nutzer tatsächlich Veränderungen in der Form des Gehirns auslösen.
Bis zum 7. 3. hatten sie genug synthetisiert, um mit Tierversuchenzu beginnen. Die erste Beobachtung bestand darin, dass es in der Wirkung der Substanzen auf den Organismus mehrere Phasen zu geben schien. In der ersten Phase verstärkten sie massiv das geografische Gedächtnis und den Richtungssinn. Im Experiment wurden die Seeschnecken in einem dunklen Raum auf einer Töpferscheibe herumgewirbelt und dann in ein neues, lichtloses Becken gebracht, und nach etwa einer Minute hörten sie auf, sich im Kreis zu drehen, und schwammen in die Ostecke, wo sich in ihrem alten Becken die Fütterung befand. Wir sahen Videos von Mäusen, die durch Wasserlabyrinthe schwammen, und beim zweiten Versuch erinnerten sich die kleinen Mistkerle auch bei den kompliziertesten Irrgärten, die man in dem Labor bauen konnte, ganz wunderbar an den Weg. Affen gelang noch Beeindruckenderes. Normale Makaken können auf dem Drahtseil balancieren, aber die gedopten bewältigten sogar schwingende Drahtseile, und zwar im Dunkeln, und konnten auf Befehl auf ein anderes Drahtseil springen, über das sie eine Stunde zuvor gegangen waren. Lisuarte sagte, die Wirkung auf den Gleichgewichtssinn und die Muskulatur erinnere sie an Propanolol, einen Betablocker, den viele klassische Musiker vor Konzerten einnähmen. Während dieser Phase stieg der IQ langsam an, bis er einen Wert über der
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