2012 – Das Ende aller Zeiten
mich, ob ich mich vorstellen sollte, obwohl sie schon wusste, wer ich war. Ich ließ es bleiben.
»Taro hält Sie für den Größten«, sagte Ms Park.
»Das ist sehr erfreulich.«
»Ich wette, Sie spielen Go?«
Ich nickte. Vielleicht hatte sie beobachtet, wie ich auf das Spielbrett geblickt hatte. Es ist eigenartig, wie manche Leute mir etwas ansehen können. Mir kam es schon immer so vor, als lebte ich in einer Welt voller Telepathen.
»Wie stark sind Sie?«, fragte sie.
»Sechster dan . Amateur.«
»Das ist ja gottlos«, sagte sie. »Ich bin ein Fünfer. Vielleicht sollten wir irgendwann mal zusammen spielen.«
»Gern«, sagte ich. Fünfter dan ist tatsächlich ziemlich beeindruckend, besonders, weil die meisten Leute in der Unterhaltungsbranche Schwierigkeiten hätten, eine Partie Cootie durchzustehen. Go wird in Asien als Kampfsport betrachtet, und ein dan ist so etwas wie ein Gürtel. Ein sechster dan , der höchste Amateurrang, entspricht einem Schwarzen Gürtel sechsten Grades. Verglichen mit einem Profispieler war ich trotzdem ein Nichts. Wie auch immer, ein Sechster dan gibt einem Fünften dan einen Stein vor, und damit ist noch immer ein wirklich gutes Spiel möglich. Sie und ich würden im Tatamizimmer ihres bezaubernd minimalistisch eingerichteten, himmelhohen, von vier Wachleuten geschützten Lofts bis spät in die Nacht zu den romantischen Streichern einer alten Jello-Biafra-Platte spielen, und als ich mich entschuldige, weil ich sie schon wieder um siebzigeinhalb Punkte geschlagen habe, wischt sie das Spielbrett beiseite und packt mich bei den …
»Bitte, nehmen Sie Platz« , sagte sie. Auf Deutsch.
Ich setzte mich. Der Stuhl hatte massiv gewirkt, gab aber unter mir nach und passte sich meinem Körper an, sodass ich kurz mit den Füßen durch die Luft schlug. Idiot. »Ich bin ein großer Fan«, sagte ich. »Ich spiele ständig Ihr Spiel.«
»Tatsächlich? Danke. Auf welcher Stufe sind Sie?«
»Äh, zweiunddreißig.«
»Das ist ausgezeichnet.«
»Danke.« Obwohl es sich um ihr Produkt handelte, war es mir peinlich zuzugeben, dass ich so viel Freizeit damit verbrachte.
»Die Sache ist«, fuhr sie fort, »dass ich eigentlich überhaupt nichts von den alten Maya verstehe, obwohl ich das Spiel entworfen habe.« Was du nicht sagst, dachte ich. »Aber vielleicht haben Sie das ja schon gemerkt«, fügte sie hinzu, ehe ich es sagen konnte.
»Nun ja …«
»Es ist ja nur Fantasy. Ich weiß, dass es historisch nicht akkurat ist.«
»Klar«, sagte ich. Mir fiel auf, dass ich den Hut nicht abgenommen hatte. Verdammt. Mir ist es nun mal unangenehm, mit unbedecktem Kopf herumzuziehen, und dauernd vergesse ich, drinnen die Kopfbedeckung abzusetzen. Nimm ihn wenigstens jetzt ab, dachte ich. Nein. Zu spät. Aber sie muss mich doch für ziemlich verschroben halten, wenn ich den Hut aufbehalte, oder? Nein, tu es nicht. Das ist dein Look. Der Hut-Look. Entspann dich. Bueno. Señor Hut bleibt.
»Als Sie aufwuchsen, haben Sie Maya gesprochen, richtig?«, fragte Marena.
»Ja.« Ich nahm den Hut ab. »Genauer gesagt Ch’olan. So heißt die Sprache, mit der ich groß wurde.«
»Taro sagt, Sie kommen aus Alta Verapaz.«
»Das stimmt.«
»Haben Sie je von irgendwelchen Ruinen dort gehört, in der Nähe von Kabon?«
»Sie meinen den Río Cahabón?«
»Ja, genau. Michael sagte etwas von einer Flussschleife.«
»Stromabwärts von T’ozal?«
»Das hört sich danach an.«
»Da gibt’s überall Ruinen«, sagte ich. »Meine Onkel haben uns immer erzählt, die Buckligen hätten sie vor der Flut gebaut.«
»Was für Bucklige?«
»Magische Schlammzwerge oder Geröllkinder oder Trolle oder was auch immer. Ich habe sie mir immer als große, stämmige Kerle mit rauer Haut und riesigen Köpfen vorgestellt.«
»Verstehe.«
»Warum fragen Sie? Kennen Sie die Gegend?«
»Nur von der Karte. Aber Michael hat um Erlaubnis ersucht, die Königsgräber zu untersuchen, ehe dieser Damm gebaut wird und alles untergeht.«
»Das ist großartig …«
»Wissen Sie, vielleicht sollte ich das nicht sagen, aber Sie sehen kaum wie ein Indianer aus.«
»Oh, ist schon okay, ich versteh schon. Maya sehen nicht im Geringsten wie die Navajo aus oder so. Manchmal verwechselt man uns sogar mit Südostasiaten.«
»Asiatisch sehen Sie erst recht nicht aus. Oder lateinamerikanisch.« Sie lächelte kokett, als hätte sie Angst, rassistisch zu erscheinen. Dabei stimmte es: Die Maya sind meist klein und stämmig, ich aber war zur
Weitere Kostenlose Bücher