2012 – Das Ende aller Zeiten
hätten; sie würden es den Menschen erleichtern, das Gebiet zu räumen, falls dortetwas schiefging. Oder sie schütten überall Sand ins Getriebe, dachte ich. Na, egal, die gute Marena ist durchgekommen. Soll ich noch etwas tun? Oder würde alles andere die Sache nur verschlimmern?
Am Abend des 27. war niemand weitergekommen. Das heißt, niemand aus Taros Abteilung, und ich auch nicht. Ich konnte an nichts anderem arbeiten als an Michael Weiners Übersetzung. Einiges daran störte mich noch immer, besonders die Sache mit den »Räudewirkern«. Wie ich bestimmt schon gesagt habe, bezeichnet diese Wendung in der Regel eine Hexe oder einen Hexenmeister, doch hier wurde es eher als ein Verb wie »Verhexen« gebraucht, was meiner Ansicht nach eine in jeder Maya-Sprache unbekannte Verwendung darstellte. Die alte Sprache war natürlich anders als alles, was ich kannte, aber trotzdem … Wie auch immer, diese Überlegungen führten zu nichts. Vollkommener Blödsinn, dachte ich. Du liest mehr hinein als drinsteckt. Vielleicht besteht die einzige Gefahr darin, dass ich die Pferde scheu mache. Zwei Minuten nach Beginn der Stunde X gab ich auf. Was immer passieren würde, es nahm seinen Lauf.
Abgesehen vom Smog, der schlimmer ausfiel als üblich, war der 28. ein hübscher Tag in Zentralflorida. Die erhöhte Gefahrenstufe kam in die Lokalnachrichten, doch man schien sie nur halbherzig zu erwähnen. Die Leute waren abgestumpft. Damit überhaupt jemand reagierte, mussten schon ziemlich viele Menschen ums Leben kommen. Aber um fair zu bleiben, man kann nicht einen halben Bundesstaat evakuieren, nur weil eine Katastrophenmodellierungsgruppe – und Taro hatte gesagt, er vermute, dass wenigstens fünf andere ernstzunehmende Teams daran arbeiteten, einschließlich der Gruppe im Heimatschutzministerium, die Hardware besaß, die beinahe so fortschrittlich war wie LEON und auf die sie sehr stolz war – vollkommen spekulativ ein ungutes Gefühl äußerte, was einen bestimmten dicht bevölkerten Ort und eine vage Zeitangabe anging. Den ganzen Tag lang sah ich Nachrichtensendungen, las Nachrichtenticker und besuchte Chatrooms. Obwohl ich ziemlich weit von Orlando entfernt wohnte, hatte ich das Gefühl, auf dem Sprung zu stehen. Wann immer ich eine merkwürdige Wendung las, fingen mir fast die Zähne zu klappern an. Trotzdem, das Schlimmste, was im Park District zu geschehen schien, bestand in ein paar falschenFeueralarmen und einer Lebensmittelvergiftung, die einige Besucher des Pinocchio Village Haus abbekommen hatten. Nicht gerade apokalyptisch, das Ganze. Kurz nach Mitternacht legte ich mich hin.
I Dios. Müde.
Ich war seit etwa achtundzwanzig Stunden wach – was für mich nicht so ungewöhnlich ist. Ich habe DSPS , Delayed Sleep Phase Syndrome, eine chronische Störung der Schlafenszeitpunkte, zusätzlich zu allem anderen – aber ich vermute, da war ein wenig Stress im Kreislauf.
Okay. Ich mache einfach zwanzig Sekunden lang pestaña.
Irgendwo bellte ein Hund – nicht der kleine Xoloitzcuintle der Villanuevas, sondern ein größeres Tier, das ich noch nie gehört hatte; es erinnerte mich an den Wüstenhund. Ach so, ich glaube, diese Geschichte habe ich noch gar nicht erzählt. Das ist vielleicht auch gut so, sie ist nämlich ein bisschen deprimierend. Aber jetzt habe ich davon angefangen … Also, kurz gesagt war der Wüstenhund eine hässliche gelb-graue Promenadenmischung aus Terrier, Windhund und Kojote, von dem Ezra, der mittlere meiner drei Stiefbrüder, behauptete, er habe ihn angegriffen, als er den Golfrasen mähte, aber ich glaubte ihm nicht. Jedenfalls standen auf der anderen Seite der 15, zur Gipsmühle hin, alte Schafskäfige und Hühnerställe und dergleichen, und Ezra hielt den Hund in einem der Ställe gefangen. Als die Brüder ihn mir zeigten, hatte er keine Vorderpfoten mehr. Dort waren nur zwei zerfetzte Stümpfe. Vielleicht war es ein Unfall gewesen; wahrscheinlicher aber war, dass der Hund sich in einem Maschenzaun oder einer Falle gefangen und sich die Pfoten abgenagt hatte. Man sollte meinen, dass er verblutet wäre, aber die Wunden heilten, und er kroch auf dem Zinkboden des Käfigs umher, richtete sich auf und sank wieder zusammen, und in seinen großen Augen stand die Angst vor uns. Sie hatten ihn dort eingesperrt und ihm nicht einmal Wasser gegeben, geschweige denn etwas zu fressen. Ich fragte Ezra, was …
»… ist keine Übung. Jed? Ich bin’s. Nehmen Sie ab. Es ist mein Ernst.«
Hä?
Ich
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