2012 - Die Prophezeiung - Alten, S: 2012 - Die Prophezeiung - Phobos
noch immer schwer und unruhig.
Was immer es auch sein mag, was Immanuel Gabriels Geist heimsucht, es hat all seine rationalen Gedanken ausgelöscht. Von tiefer Angst erfüllt, war er aus Liliths Schlafzimmer geflohen, indem er sich durch eine sturmsichere Glastüre stürzte und vom Balkon im zweiten Stock auf den Strand darunter sprang. Er war fast einen Kilometer weit gerannt, ehe Lilith ihn einholen konnte, indem sie den Nexus benutzte. In diesem Raumzeit-Korridor gelang es ihr, ihn zu überwältigen, so dass sie ihm eine Dosis Thorazin spritzen konnte.
Mannys Angst war besorgniserregend, doch Devlins Veränderung war geradezu entsetzlich. Mit dem Tageslicht war auch das kalte, berechnende Auftreten des Teenagers verschwunden, und um Mitternacht hatte sich sein schizophrenes Verhalten voll entwickelt. In uralten Sprachen faselnd schlich der junge Mann über das Mabus-Grundstück, ohne seine Umgebung wahrzunehmen. Sein Geist bemühte sich, tief in eine andere Dimension einzutauchen, doch deren Portale blieben ihm verschlossen. Rasend vor Wut streckte er sich im Mondlicht auf dem Pooldeck aus und schlug seinen Kopf gegen den Backsteinboden. Um ihn ruhigzustellen, waren so viele Tranquilizer nötig gewesen, dass man damit ein Pferd hätte betäuben können.
Der Horizont im Osten wird grau, und man kann Ciudad del Carmen erkennen, eine Küstenstadt, die im mexikanischen Staat Campeche liegt. Sie fliegen weiter in südwestlicher Richtung über ein grünes Tal voll kleiner Seen und Sickergruben. Zwanzig Minuten später
erhebt sich das Hochland von Chiapas aus dem dichten tropischen Dschungel.
Der Pilot reduziert Geschwindigkeit und Flughöhe. Dann aktiviert er den dreiblättrigen Rotor des Jet-Copters, während er gleichzeitig die Tragflächen einfährt, wodurch sich das Flugzeug wieder in einen Hubschrauber verwandelt. Die Maschine kreist über dem dichten Laubwerk, bis eine Reihe grauweißer Steintempel aus dem grünen Baldachin ragt. Der Pilot entdeckt ein offenes Feld etwa vierhundert Meter westlich der Ruinen und landet.
Palenque: Das alte Zentrum des Maya-Stadtstaates B’aakal, das die Indianer selbst Lakam Ha nennen. Quellen und kleine Flüsse strömen durch die Dschungelfestung, die bis auf das Jahr 300 nach Christus zurückgeht. Im Jahr 431 wurde K’uk B’alam der erste König seines Volkes. Zehn Könige und einhundertvierundachtzig Jahre später begann ein junger Mann namens K’inich Janaab’ Pakal I. (Pakal der Große) seine achtundsechzig Jahre währende Regierung als Herrscher über die wichtigste Stadt während der klassischen Ära der Maya.
Ryan Beck wirft Immanuel Gabriel über seine breite Schulter und folgt Lilith auf dem schmalen Weg, der in den gepflegten Park führt. Weiße Nebelschwaden kühlen die sanft wogenden Blätter und filtern das Licht des anbrechenden Tages. Langsam erwacht der Dschungel um sie herum in einem Konzert aus Zwitschern, Pfeifen und Tausenden flatternder Flügel.
Der Weg führt sie durch eine Tempelanlage, die als »Kreuzgruppe« bezeichnet wird. Der Park wirkt verlassen.
Die Tore für die Touristen werden sich erst in drei Stunden öffnen.
Die alte Frau wartet auf sie vor dem Tempel der Inschriften. Die nur einen Meter fünfzig große Aztekin wirkt geradezu zwergenhaft angesichts des sechzig Meter hohen Kalksteinmonoliths. Eine dünne Schicht ledrigen Fleisches hängt von ihren zerbrechlichen Knochen, und der Blick aus ihren vom grauen Star gezeichneten blauen Augen ist so trüb wie der Nebel. Ihr Gesicht ist hager und wettergegerbt, ihr Körper ist drahtig und wirkt – für eine Hundertjährige – auf eine trügerische Weise kräftig.
Lilith beugt sich nach vorn und küsst die knotige Wange ihrer Großtante mütterlicherseits. »Danke, Chicahua, dass du so kurzfristig kommen konntest.«
»Wir haben nicht viel Zeit. Weck den Hunahpu auf.«
Beck wirft Lilith einen unsicheren Blick zu.
»Chicahua ist eine Seherin. Ihre Vorfahren haben Könige beraten. Tu, was sie sagt.«
Der Leibwächter lässt Manny auf die Tempelstufen gleiten und injiziert ihm eine Dosis Adrenalin.
Gehetzt und voller Furcht reißt Manny die Augen auf. Er sieht in alle Richtungen und krümmt sich zusammen, als stiegen die Geister der Toten um ihn herum aus der Erde auf.
Beck legt ihm den rechten Bizeps um den Hals, als er fliehen will, und hält ihn fest, als ginge es um Leben und Tod. Manny windet sich aus dem Griff und schleudert den großen Mann über seine Schulter wie ein
Weitere Kostenlose Bücher