2012- Die Rückkehr
bedeutet, dich mit derselben Gelassenheit dem Angriff des Gegners zu stellen, mit der du ihn selbst angreifst. Es bedeutet, ohne Zorn zu trainieren, dein Leben aufzugeben oder die Angst von dir zu werfen.«
»Wirke ich verängstigt auf Sie?«
»Mein Eindruck ist nicht von Bedeutung. Jeder von uns hat seine eigenen Dämonen. Ich hoffe, dass Kendo dir dabei hilft, dich eines Tages den deinen zu stellen, Andrea.«
Dominique zieht ein altes Florida-State-T-Shirt und ihre Joggingschuhe an, schiebt die Tasche mit ihrer Ausrüstung in ein Schließfach und geht in den Trainingsraum.
Chris Adair, ihr persönlicher Trainer, wartet auf sie am Gestell mit den Hanteln, das gefürchtete Klemmbrett in der Hand. »Wie war’s beim Kendo?«
»Gut«, lügt sie.
»Dann wird es Zeit für ein wenig Schmerz.« Er stellt die Neigung der Bank ein und reicht ihr zwei Hanteln zu je dreißig Pfund. »Ich will zwanzig Wiederholungen von dir. Dann legen wir vierzig Pfund auf.«
Zwei Stunden später kommt Dominique aus dem Fitnesscenter. Sie ist frisch geduscht und hat eine Massage hinter sich, doch ihr Körper zittert noch immer vor Erschöpfung. Die Sporttasche mit ihren nassen Kleidern und ihrer Ausrüstung zerrt schmerzvoll an ihrer rechten Schulter, weswegen sie sich auf den schweren Bambusstock stützt.
Eine ältere Frau, die ihr orange-braunes Haar zu einem straffen Knoten gebunden hat, steht neben ihrem Jeep. Ihr Gesicht scheint das starre Lächeln einer religiösen Fanatikerin zu verraten. Sie trägt eine an den Seiten geschlossene Sonnenbrille, wie sie von Senioren bevorzugt wird.
Dominique geht wachsam auf sie zu und umschließt den Griff des Bambusstocks fester. Doch der Stock ist nur eine Hülle. In seinem Inneren befindet sich das Katana , ein japanisches Langschwert, dessen Stahlklinge zu tödlicher Schärfe geschliffen wurde.
»Hallo, Dominique.«
»Tut mir leid, Sie müssen mich mit jemandem verwechseln.«
»Nur die Ruhe, meine Liebe. Ich werde dir nicht wehtun.«
Dominique bleibt eine Schwertlänge von der älteren Frau entfernt stehen. »Wollen Sie etwas von mir?«
»Ich möchte nur mit dir reden, aber nicht hier. Vielleicht könntest du mir nach St. Augustine folgen. Dort wohne ich.«
»Nach St. Augustine? Ich kenne Sie nicht mal. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen wollen.«
»Ich bin keine Reporterin, Dominique. Ich bin eher eine Botin.«
»Na schön, ich hab angebissen. Und wer schickt mir eine Botschaft?«
»Maria Gabriel, Michaels Mutter.«
Aus den Augenwinkeln heraus sieht Dominique, dass die beiden Agenten des Heimatschutzministeriums näher kommen, jeder von einer anderen Seite des Parkplatzes. »Tut mir leid, ich kenne keinen Michael. Ich muss jetzt los.« Sie dreht sich um und geht davon.
»Maria weiß, dass du ihre ungeborenen Enkel in deinem Schoß trägst.«
Dominique erstarrt, und das Blut strömt ihr aus dem Gesicht.
»Marias Energie versucht, aus der spirituellen Welt heraus zu dir Kontakt aufzunehmen. Du bist in großer Gefahr, meine Liebe. Lass dir helfen.«
»Wer sind Sie?«, flüstert sie. »Warum sollte ich Ihnen vertrauen?«
»Mein Name ist Evelyn Strongin.« Die ältere Frau nimmt die Sonnenbrille ab, und ihre strahlend azurblauen Augen werden sichtbar. »Maria Rosen-Gabriel war meine Schwester.«
Dallas, Texas
Wie jeden Abend während der letzten vier Wochen ist die dreitausend Besucher fassende Arena auch heute bis auf den letzten Platz besetzt. Fernsehkameras und Webcams sind aufgebaut und bereit, das Studiopublikum ist voller Erwartung.
Während die Saalbeleuchtung heruntergedreht wird, strömt eine Woge neuer Energie durch die Anwesenden.
Die knallroten Vorhänge zittern, teilen sich und geben den Blick auf die Bühnenmitte frei, auf der ein verkohltes, über zwei Meter hohes Kruzifix steht.
Als wolle er das Symbol spiegeln, steht der Fernsehprediger mit ausgebreiteten Armen darunter.
Peter Mabus ist ein stämmiger Weißer Anfang fünfzig. Er spricht mit breitem Alabama-Akzent und trägt seine dünner werdenden schwarzen Haare nach hinten geklatscht und in Form gekämmt. Seine teigfarbene Haut passt zu seinem Anzug, seiner Krawatte und seinen Schuhen.
Nach und nach verstummt die Menge, als er den Kopf hebt und zu sprechen beginnt.
»Ich werde euch eine Geschichte erzählen, liebe Freundinnen und Freunde, eine Geschichte über einen Mann, dessen ganzes Leben von einer Krankheit zerfressen war, einer Krankheit, die Charakter, Körper und Geist heimsucht. Eine
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