2012 - Folge 3 - Tödliches Vermächtnis
ihren Handgelenken und löste sich aus ihrem Griff.
Eine Einstiegsdroge, um ihn Ybarras Wünschen gefügig zu machen? Oder das Vorspiel zu einem kleinen Film von ihm in eindeutiger Situation, falls es sich als nötig erweisen sollte, ihn zur Kooperation zu überreden?
Die Frau war eine Schönheit. Allerdings brauchte er nicht darüber nachzudenken, ob sie ihm das gesuchte Artefakt zeigen konnte. Er ließ sie einfach stehen und ging mit schnellen Schritten auf das Haupthaus zu.
»He, wohin willst du?«
Er ignorierte den Ruf. Sekunden später wurde er von hinten am Arm ergriffen und festgehalten. »Wohin so eilig?«
Es war einer von Ybarras Leuten. Ein Wachmann, wahrscheinlich sogar Leibwächter. Sein an der linken Achsel leicht ausgebeultes Ledersakko verriet das nicht ganz korrekt sitzende Schulterholster.
»Ich suche eine Waschgelegenheit«, sagte Tom.
Der Wachmann deutete zu einem der anderen Gebäude.
»Außerdem will ich mit Señor Víctor sprechen.«
»Das geht nicht so einfach.« Der Mann vertrat dem Archäologen den Weg. »Señor Víctor darf jetzt nicht gestört werden.«
»Später?«
»Wart’s ab.«
Der letzte Streifen rötlicher Helligkeit am Horizont war erloschen. Von den Grillfeuern wirbelte Glut auf. Im hell erleuchteten Pool tummelten sich mittlerweile mehrere Pärchen. Sogar drüben in den Hügeln wurden Fackeln entzündet. Minuten später erklangen von dort Mariachiklänge. Die Aufmerksamkeit vieler Gäste wandte sich dem neuen Programmpunkt zu. In breiter Front kam das Ensemble über die Wiesen näher, mindestens zehn typisch mexikanisch gekleidete Musiker. Ihre Sombreros funkelten in silbernem Schein.
Für einen Moment hatte Tom Ericson nicht mehr auf seine unmittelbare Umgebung geachtet. Er zuckte zusammen, als sich eine kräftige Hand um seinen Oberarm schloss. »Was …?« Er blickte in ein starres Gesicht, wollte sich instinktiv aus dem Griff lösen, da registrierte er einen zweiten Mann neben ihm.
»Víctor erwartet dich! Er will, dass wir dich zu ihm bringen.«
Tom nickte stumm. Die Männer begleiteten ihn zum Hauptgebäude. Gemeinsam betraten sie eine geräumige Empfangshalle. Spiegelnder, als Mosaik gearbeiteter Marmorboden, ein Vorhang aus Licht an der Decke, an den Wänden Ölbilder.
»Bleib stehen!« Mit dem Fuß schob einer der Männer Toms Beine auseinander. Der Archäologe wurde sorgsam abgetastet. »In Ordnung, er ist sauber. Keine Waffen.«
»Warum sollte ich Waffen tragen?«
»Señor Víctor ist einflussreich und vermögend. Männer wie er haben die seltsamsten Feinde. Geh jetzt weiter, er wartet nicht gern.«
Eine Tür zur Rechten. Der Raum dahinter lag im Halbdunkel. Barockmöbel waren das Erste, was Tom erkennen konnte. Geschnitzte Figuren stützten eine Regalwand; sie stellten Edelleute und Bettler dar, Dämonen und einen im Narrengewand.
Tom registrierte das so genau, weil Víctor Ybarra vor der Regalwand stand und ein Buch einsortierte. Er wandte sich ihm sofort zu. Ein geschäftsmäßiges Lächeln umspielte seine Mundwinkel, als er spontan die Rechte zum Gruß ausstreckte.
»Es ist mir ein Vergnügen, Mister Ericson. Ich freue mich immer, neue Gäste begrüßen zu dürfen. Sie sind also Archäologe?«
Ybarra wartete nicht, bis sein Besucher die ihm dargebotene Hand ergriff. Er ging zu der Sitzgruppe und ließ sich in einen der Sessel sinken, die um ein kleines Tischchen herum standen. Aufmerksam fixierte er Ericson. »Was möchten Sie trinken? Wein? Champagner? Oder ein Glas Wodka? Aber bitte, setzen Sie sich.«
»Ein Glas Mineralwasser.« Tom überraschte damit sein Gegenüber. Er nahm Platz.
»Sie sind zum ersten Mal in dieser Region, Mister Ericson? Was führt Sie hierher?«
»Eigentlich ein Zufall.«
»Das, mein Lieber, sollten Sie mir näher erklären«, bat Ybarra. »Zufälle sind das Salz in der Suppe des Lebens. Entweder geben Sie einen pikanten Geschmack hinzu …«, er tippte die Fingerspitzen aneinander und lächelte dezent, »oder sie machen ein Leben völlig ungenießbar. Ist es nicht so? Also schießen Sie los, Mister Ericson? – Tom Ericson, das ist doch richtig?«
»Das ist richtig.« Für einen Moment fragte sich der Archäologe, was die eigenwillige Betonung seines Namens bedeutete. Dass Ybarra Informationen über ihn eingezogen hatte? Zweifellos war es so.
Eine junge Frau brachte ihm das gewünschte Glas Wasser und stellte eine gefüllte Kristallkaraffe daneben. Ybarra erhielt einen doppelten Wodka. Tom schaute dem Mädchen
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