2012 - Folge 3 - Tödliches Vermächtnis
Bankkonto wett.
Die Gegensprechanlage war nicht zu übersehen.
»Ah, Señor Ericson, Sie sind pünktlich. Folgen Sie einfach dem Weg.«
Tirado konnte ihn sehen, kein Zweifel. Und wahrscheinlich würde der Anwalt seinen Besucher verfolgen können, bis er das Penthouse erreichte.
Die Sicherheitsvorkehrungen hatten etwas Beruhigendes. Toms Befürchtungen, dass Tirado nach seinem Besuch in Lebensgefahr schweben würde, verloren allmählich an Bedeutung. Ohnehin war diesmal alles anders: Der Mann, den er nun aufsuchte, hatte das Artefakt.
Vor Tom schob sich ein Segment der Rundwand zur Seite. Er schritt durch eine Art Schleuse, die ihn an einen Metallscanner erinnerte. Er hatte nichts zu verbergen. Big Ricos Revolver hatte er zusammen mit dem Wagen entsorgt.
Wieder ein Aufzug, dann trat Tom auf das Dach hinaus, das im hellen Sonnenschein lag. So weit ihn nicht üppige Pflanzenpracht daran hinderte, erhaschte er einen imposanten Blick über Madrid hinweg.
»Ich bin erfreut, Sie zu sehen.« Der Anwalt kam auf Tom zu und streckte ihm lachend die Hand entgegen.
Víctor Javier Tirado wollte alles von seinem Besucher wissen. Er war ein eloquenter Gesprächspartner, der sich auf zwei Dinge besonders verstand: auf die Kunst des Zuhörens und darauf, Fragen zu stellen. Kein Wunder bei seinem Beruf, den er immer noch ausübte. Und dass er begierig war nach Informationen, verstand Ericson nur zu gut.
Mehrmals stand der Archäologe kurz davor, Tirado die Wahrheit zu sagen. Dass er seinen Vater eben nicht persönlich gekannt hatte, sondern einzig und allein der Spur des Artefakts folgte. Weil so vieles im Zusammenhang mit diesem Gegenstand eine bedrohliche Dimension hatte.
Weil dieser Gegenstand selbst schon bedrohlich war?
»Haben Sie nie Unbehagen empfunden?«, fragte Ericson unvermittelt.
»Warum sollte ich?« Tirado zuckte die Achseln. »Ich kenne die Schwärze, die dieses Artefakt umgibt, seit ich es zum ersten Mal gesehen habe … am Totenbett meines Vaters. Damals spürte ich Furcht und Faszination gleichermaßen.«
Eine kurze Pause folgte. Tirado lehnte sich zurück. In seinem Blick lag ein Hauch angespannter Nachdenklichkeit.
»Inzwischen bin ich siebzig, Mister Ericson. Meine Furcht ist längst verschwunden, aber die Faszination ist geblieben. Sie ist sogar eher noch gewachsen – besonders seit Ihrem Anruf.«
»Das kann ich verstehen«, sagte Tom. »Hat sich irgendetwas an dem Objekt verändert seit damals?«
Nachdenklich biss sich Tirado auf die Unterlippe. »Nein, ich glaube nicht«, antwortete er zögernd. »Allerdings habe ich es mir vorgestern zum ersten Mal seit langem wieder angesehen.«
»Sie haben das Artefakt hier?«
Tirado schwieg.
»Ich nehme an, ich darf es sehen«, hakte Ericson nach. »Oder spricht etwas dagegen?«
Der Anwalt schaute seinen Besucher gedankenverloren an. Nach einigen Sekunden ging ein Ruck durch seinen Körper. »Nein, natürlich spricht nichts dagegen«, stellte er fest und wies mit dem Stock, auf den er sich stützte – das einzige sichtbare Zugeständnis an sein Alter – auf eine Tür. »Das Objekt befindet sich im Nebenraum.«
Schwärze war das Erste, was Tom Ericson bewusst wahrnahm.
Er blieb unter der Tür stehen, obwohl Tirado vor ihm weiterging. Erst vor dem achteckigen Tisch, auf dem das Artefakt lag, blieb der Spanier stehen und wandte sich um.
»Warum so zögerlich? Kommen Sie, Mister Ericson! Oder ist etwas anders, als Sie es in Erinnerung haben?«
Der Raum war groß, aber spärlich eingerichtet. Parkettfußboden, mehrere Vitrinen mit Ausstellungsstücken, weiß verputzte Wände, ein hohes Fenster. In der Ecke hinter dem Schrank stand ein schwerer alter Tresor mit Bartschlüssel und Zahlenkombination. Eigentlich schon ein historisches Stück, für das Sammler mehrere zehntausend Dollar hinblättern würden.
Der Schlüssel steckte, die Tür stand einen Fingerbreit offen. Ericson schloss daraus, dass das Artefakt in diesem Safe aufbewahrt worden war. Eigentlich hatte er an ein Schließfach im Tresorraum einer Bank geglaubt.
Tirado lachte verhalten. »Sie vermuten richtig, Mister Ericson«, sagte er, als sei er in der Lage, Gedanken zu lesen. Aber wahrscheinlich hatte er nur den Blick des Archäologen richtig gedeutet. »Mein Vater hat das Objekt immer dort aufbewahrt; er wollte es in seiner Nähe wissen. Warum? Ich hoffe, Sie können mir eine Erklärung dafür geben.«
Das geschwungene, nach Süden liegende Fenster ließ das Sonnenlicht ungehindert
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