2012 - Folge 9 - Die Weltuntergangsmaschine
Ohren klang es wie ein Echo des Schreis, den Sabrina Dallocchio vor sechs Jahren ausgestoßen hatte, als er den Opferdolch auf sie niederstieß und zwar nicht sie, aber ihren Geist getötet hatte.
Weiter tat es nichts, das Ding auf dem Tisch. Es summte lediglich, und seine Teile bewegten sich, millimeterweise nur und ohne den Halt zueinander zu verlieren. Maria Luisa ging trotzdem in respektvollem Abstand um die Kugel herum und dann neben Jandro in die Hocke, der sich sogleich schutzsuchend an sie drängte.
Sie sprach beruhigend auf ihn ein, und es klappte. Sein Puls verlangsamte sich, er hörte auf zu zittern, er atmete gleichmäßiger, wozu auch eine Dosis Asthma-Spray aus dem Inhalator beitrug, den sie ihm reichte.
Dann erst, nach einer ganzen Weile, in der das Kugelgebilde unverändert vor sich hin summte, klickte und schabte, fragte sie ihn, und zwar wie beiläufig: »Was ist das, Jandro?«
Er schüttelte den Kopf. Sie strich ihm übers schweißnasse Haar, und schon wurde er wieder ruhig und antwortete: »Ich weiß nicht.«
»Hast du es gefunden?«
»Nein. Gebaut.«
»Gebaut? Woraus denn?« Da fiel Maria Luisas Blick auf den Koffer, der zwar nicht aufgeklappt, aber offen auf dem Bett lag.
»Du hast die Schlösser aufbekommen?«
Jandro nickte.
Seine Schwester rügte ihn nicht, musste aber insgeheim zugeben, dass sie es in diesem Moment gerne getan hätte. Es war ein natürlicher Reflex. Tom hatte recht gehabt mit seiner Vorsicht.
»War dieses Ding in dem Koffer?«
»Es ist ein Puzzle. Vierzig Teile. Und der Stein.«
»Der Stein?« Maria Luisa hob die Augenbrauen. »Etwa Toms Himmelsstein?«
»Ja. Er hat da reingehört.« Jandro zeigte auf das Kugelgebilde. »Mitten drin ist er. Ohne den Stein haben die Teile nicht zusammengehalten.«
Hätte Tom den verfluchten Himmelsstein doch nur mitgenommen in die Christmette, dann … Maria Luisa kappte den Gedanken. So wenig wie sie Jandro tadeln wollte, mochte sie auch Tom nicht rügen. Beide hatten nicht in böser Absicht gehandelt.
Nur unvorsichtig, dachte sie. Und das ist in unserer Situation zwar nicht böse, aber dumm.
» Lass es uns wieder auseinandernehmen, hm?«, schlug sie vor, immer noch mit Jandro in der Zimmerecke sitzend, den Blick auf die Konstruktion von der Größe einer Bowlingkugel gerichtet, die zwar merkwürdig, aber doch harmlos aussah. Sah man davon ab, dass sie sich bewegte und Geräusche produzierte, ohne von einem Motor angetrieben zu werden. Nur von dem Himmelsstein …
»Das geht nicht«, sagte Jandro. »Hab’s schon versucht. Die Teile lösen sich nicht mehr.«
»Dann …« Maria Luisa überlegte, kam auf keine wirklich gute Idee und begnügte sich deshalb mit der einzigen, die ihr einfiel: »Dann lass uns das Ding zu Tom bringen.«
Ihm würde schon etwas einfallen.
Und es war in jedem Fall besser, als hier zu bleiben und das komische Ding nur anzuglotzen.
Infernalisches Gebrüll erfüllte die Totenstadt.
Bruno Dallocchio schrie und geiferte, schäumte.
Sie hatten ihn gestellt, als er, den Dolch in beiden Händen über den Kopf erhoben, hinter einem Altar stand und auf ein bewusstloses blondes Mädchen einstechen wollte. In ihr erkannte Tom die Kleine, auf die sie gestern bei ihrer Ankunft hier getroffen waren.
Hier … Der Ort hatte sich verändert. Die Mauer, die ihnen als Portal gedient hatte, existierte nicht mehr. Wie es aussah, war sie geradezu explodiert, ohne jedoch Pulverspuren oder ähnliche Rückstände zu hinterlassen. Das deckte sich mit seiner Vermutung über die Unerklärlichkeiten, die an diesem besonderen Ort möglich zu sein schienen. Worin diese Besonderheit bestand, war eine andere Frage, die vielleicht nie beantwortet werden würde …
Don Phantasos hatte im Halbdunkel – ihre Lampen schufen keine wirkliche Helligkeit, sondern nur ein sich ständig veränderndes, stroboskopartig flimmerndes Gewirr aus sich kreuzenden Lichtbalken – in seine Tasche gegriffen, etwas herausgeholt und offenbar in Dallocchios Richtung geworfen. Es mochte ein Pulver sein oder etwas in der Art; erkennen konnte Tom es nicht.
Aber es musste den Besessenen getroffen und seine Wirkung entfaltet haben. Es lähmte Dallocchio; vielleicht bereitete es ihm auch einfach nur Höllenqualen, die ihn von seiner Absicht abhielten, das Mädchen zu schlachten.
Tom fühlte sich auf grauenhafte Weise in der Zeit zurück- und zugleich in Dallocchio hineinversetzt. Vor sechs Jahren hatte er auch so dagestanden, über Sabrina
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