2012 - Schatten der Verdammnis
plötzliche Verschwinden ihres Gottkönigs Kukulkan, sich Menschenopfern zugewandt, um das Ende der Menschheit zu verhindern. Unberührte Mädchen wurden zur rituellen Reinigung ins Becken gezwungen und dann von Priestern auf die Plattform oben geführt. Dort wurden sie entkleidet, dann streckten die Priester sie auf dem Stein aus, um ihnen mit Obsidianmessern das Herz aus dem Leib zu schneiden oder die Kehle aufzuschlitzen. Anschließend warf man ihre mit Schmuck behängten Leichen feierlich in den geheiligten Brunnen.
Der Gedanke an das grausame Ritual lässt Dominique schaudern. Sie umrundet das Becken und eilt den Sache entlang, einen breiten, erhöhten Weg aus Erde und Steinen, der durch den dichten Dschungel zum Nordrand der alten Stadt führt.
Eine Viertelstunde später - Dominique ist ein halbes Dutzend Mal gestolpert - hat sie das Ende des Wegs erreicht. Vor ihr erhebt sich die Nordseite der Kukulkan-Pyramide, deren dunkler, kantiger Umriss neun Stockwerke hoch in den sternenklaren Himmel ragt. Sie nähert sich dem Sockel, der an beiden Seiten von den Köpfen zweier gewaltiger Schlangen bewacht wird.
Dominique blickt sich um. Die alte Stadt ist dunkel und verlassen. Ein kalter Schauer läuft ihr über den Rücken, als sie die Treppe betritt.
Auf halber Höhe bleibt sie stehen und ringt nach Atem. Die Stufen der Pyramide sind schmal, der Winkel steil, und es gibt nichts, woran sie sich festhalten könnte. Sie dreht sich um und blickt hinab. Ein Fall aus dieser Höhe würde ihren Tod bedeuten.
»Mick?« Ihre Stimme hallt über das flache Terrain. Sie wartet auf eine Antwort, doch da sie nichts hört, steigt sie weiter.
Nach fünf Minuten hat sie die Spitze erreicht, eine
Plattform, auf der ein quadratischer, zweistöckiger Tempel steht. Schwindlig lehnt sie sich an die Nordmauer des Baus, um Atem zu holen. Die Muskeln ihrer Schenkel brennen vom Steigen.
Der Blick ist spektakulär und von keinem Geländer behindert. Im Mondlicht sind schattenhaft die Umrisse sämtlicher Bauten im Nordteil der Stadt erkennbar. Jenseits davon erstreckt sich das Blätterdach des Dschungels zum Horizont wie der dunkle Rahmen einer Leinwand.
Der Umgang um den Tempel ist nur eineinhalb Meter breit. In sicherem Abstand von der gefährlichen Kante arbeitet sie sich vor, bis sie vor dem gähnenden Nordeingang des Tempels steht. Sie wischt sich den Schweiß von der Stirn. Das gewaltige Portal, flankiert von zwei Säulen in Schlangenform, ragt drohend vor ihr auf.
Sie tut einen Schritt ins pechschwarze Innere. »Mick, bist du da drin?«
Ihre Stimme klingt gedämpft. Sie greift in ihren Rucksack, tastet nach der Taschenlampe, die sie am Nachmittag gekauft hat, und betritt die dumpfige Kalksteinkammer.
Sie steht in einem in zwei Kammern unterteilten Raum; der Vorraum geht in das zentrale Heiligtum über. An dessen Ende erhebt sich eine massive Mauer. Der Kegel der Taschenlampe gleitet über die gewölbte Decke und dann über den Fußboden, dessen steinerne Oberfläche von kultischen Feuern geschwärzt ist. Dominique verlässt die leere Kammer, folgt dem Umgang nach links und betritt den Westflur, einen öden Gang, der verwinkelt mit dem südlichen und dem östlichen Eingang verbunden ist.
Der Tempel ist verlassen.
Dominique schaut wieder auf die Uhr: 23.20 Uhr. Vielleicht kommt er gar nicht?
Die kühle Nachtluft lässt sie frösteln. Auf der Suche nach Wärme schlüpft sie wieder in die Nordkammer und
lehnt sich an deren Ende an die Wand. Der schwere Stein, der sie umgibt, bringt alle Geräusche zum Schweigen.
Die Atmosphäre in der Kammer ist unheimlich, als warte jemand im Schatten, um sich auf sie zu stürzen. Erst als sie mit der Lampe jeden Winkel abgesucht hat, beruhigen sich ihre Nerven.
Erschöpfung überkommt sie. Sie legt sich auf den Steinboden, rollt sich zusammen und schließt die Augen. Schon während sie einschläft, sieht sie Bilder vor sich, die von Blut und Tod berichten.
Die weite Fläche um die Pyramide ist ein wogendes Meer aus braunen Körpern, deren bemalte Gesichter vom rotgelben Schein unzähliger Fackeln erleuchtet werden. Dominique steht am Eingang der Nordkammer und sieht einen roten Strom die Stufen hinabrinnen. Am Fuß der Treppe sammelt das Blut sich um einen Haufen verstümmelter Körper, die zwischen den beiden Schlangenköpfen liegen.
Zwölf weitere Frauen sind mit Dominique im Tempel, alle in Weiß gekleidet. Wie eingeschüchterte Lämmer kauern sie sich zusammen und blicken sich mit
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