2012 - Schatten der Verdammnis
an ihrem Blut laben. Einem zugewachsenen Fußpfad folgend, bahnen Mick und Dominique sich einen Weg durchs dichte Unterholz des Dschungels. Insekten und Dornen malträtieren ihre Haut. Endlich öffnet sich die Vegetation und sie kommen in ein dicht mit Bäumen bestandenes Gebiet. Der schlammige Boden wird allmählich fester. Sie kämpfen sich einen steilen Abhang empor, dann sehen sie plötzlich die Sterne über ihren Köpfen funkeln.
Sie stehen auf einem fünf Meter breiten Weg, angelegt aus in den Lehm gepressten Steinen. Es ist der Sacbe , den die Maya vor über tausend Jahren geschaffen haben.
Mick lässt die Luftflaschen auf den Boden sinken und reibt sich die schmerzenden Schultern. »Links geht es zum Heiligen Cenote, rechts zur Pyramide des Kukulkan. Alles in Ordnung?«
»Ich fühl mich wie ein Packesel. Wie weit ist es denn noch?«
»Knapp zweihundert Meter. Komm.«
Sie wenden sich nach links und erreichen fünf Minuten später den Rand eines riesigen Kalksteinbeckens, in dessen stillem, dunklem Wasser sich das Mondlicht spiegelt.
Dominique blickt nach unten und schätzt den Abstand zwischen sich und der Wasseroberfläche auf gut fünfzehn Meter. Ihr Puls rast. Was tue ich nur hier? Als sie sich umdreht, sieht sie fünf dunkelhäutige alte Maya aus dem Wald kommen.
»Das sind Freunde von mir«, sagt Mick, »H’mene, wie die Maya ihre Weisen nennen. Sie stammen von der Brüderschaft der Sh’Tol ab, einem kultischen Bund, der die Invasion der Spanier vor fünfhundert Jahren überlebt hat. Sie sind gekommen, um uns zu helfen.«
Während er in seinen Tauchanzug schlüpft, spricht Mick in einem alten Dialekt mit einem der weißhaarigen Maya. Die anderen holen inzwischen ein Seil und mehrere Unterwasserlampen aus seiner Gerätetasche.
Dominique kehrt der Gruppe den Rücken zu, streift sich das Sweatshirt ab und zieht sich rasch den engen Tauchanzug über ihren Badeanzug.
Mick ruft sie zu sich. Er sieht besorgt aus. »Dom, das ist Ocelo, ein Priester der alten Religion. Er sagt, in Chichen Itzä ist ein Mann aufgetaucht, der sich nach uns erkundigt hat. Ocelo meint, es sei ein US-Bürger mit rotem Haar und muskulösem Körperbau.«
»Raymond? Ach, du Scheiße.«
»Dom, sag die Wahrheit. Hast du...«
»Mick, ich schwör’s dir, seit ich hier bin, hab ich mich weder bei Foletta noch bei Borgia oder irgendjemand anders gemeldet.«
»Ocelos Bruder arbeitet als Wächter hier. Er hat erzählt, der Fremde sei heute kurz vor der Schließung des Parks aufgetaucht, keiner hat ihn wieder verschwinden sehen. Dieser Kuhhandel, den du mit Borgia abgeschlossen
hast, ist keinen Pfifferling wert. Deine Immunität bekommst du erst, wenn man meine Leiche gefunden hat. Los, an die Arbeit.«
Sie öffnen die Ventile ihrer Luftflaschen und überprüfen die Funktion der Atemregler. Dann legen sie die Tarierwesten an und treten zum Rand des Beckens.
Mick schlüpft in seine Flossen, schlingt sich das Seil um die Arme und klettert über den Rand. Die Maya lassen ihn rasch ins ruhige, kühle Wasser hinab, dann ziehen sie das Seil wieder hoch, damit Dominique ihm folgen kann.
Mick rückt Maske und Atemregler zurecht, schaltet seine Lampe ein und steckt den Kopf ins Wasser. In der dunkelbraunen, faul riechenden Flüssigkeit sieht man gerade einen halben Meter weit.
Dominique hängt über der dunklen Fläche des Cenote und fühlt ihre Glieder zittern. Warum tu ich das bloß? Bin ich verrückt geworden? Sie zuckt zusammen, als ihre Füße ins kalte, veralgte Wasser des Beckens eintauchen. Trotzdem lässt sie das Seil los, fällt ganz in die Brühe und würgt, als sie den fauligen Geruch wahrnimmt. Rasch rückt sie ihre Maske zurecht, steckt sich den Atemregler in den Mund und saugt saubere Luft ein, um den Gestank nicht mehr riechen zu müssen.
Mick kommt an die Oberfläche, schleimige Pflanzenteile im Haar. Er schlingt das Ende eines kurzen gelben Seils um ihre Taille, das andere um seine. »Es ist ziemlich dunkel da unten, und es wäre gar nicht schön, wenn wir uns verlieren.«
Sie nickt und nimmt den Atemregler aus dem Mund. »Wonach suchen wir eigentlich genau?«
»Nach irgendeinem Eingang am Südrand des Beckens. Genauer gesagt, nach einem Gang, der uns ins Innere der Pyramide führt.«
»Aber die Pyramide ist doch wahnsinnig weit weg! Mick?« Sie sieht, wie er die Luft aus seiner Weste lässt
und untertaucht. Verdammt. Hastig steckt sie sich den Atemregler wieder in den Mund, wirft einen letzten Blick auf den Mond
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