2012 - Schatten der Verdammnis
ist noch nicht aufgegangen, doch in dieser öden, grauen Region jenseits der Dauerfrostgrenze macht das kaum einen Unterschied. Pavel wischt den Schnee von einem gefrorenen Baumstumpf, nimmt einen Klotz vom Holzstoß und stellt ihn auf. Stöhnend schwingt er die Axt und lässt sie auf den Klotz niedersausen.
Als er nach dem nächsten Klotz greift, lässt ihn ein blendender Lichtblitz aufschauen.
Am düsteren nördlichen Horizont von Lensk ragt eine weitläufige, schneebedeckte Bergkette auf, von einer grauen Wolkendecke überlagert. Pavel sieht, wie ein weißer Lichtstrahl hinter den Wolken aufblitzt und sich dann über die zerklüfteten Gipfel ausbreitet, die rasch hinter einer immer größer werdenden Nebelwand verschwinden.
Sekunden später hört er ein donnerndes Getöse. Der Boden unter seinen Füßen zittert.
Eine Lawine?
Der dichte Nebel verhindert, dass Pavel die Verwüstung sieht, die vor ihm stattfindet. Was er sieht, ist eine wabernde grauweiße Schneewolke, die sich immer weiter ausbreitet. Mit unfassbarer Geschwindigkeit rast die Energiewelle auf ihn zu.
Er lässt die Axt fallen und rennt los. »Nikolai! Lawinen - Lawinen!«
Die nukleare Druckwelle reißt Pavel hoch und stößt ihn mit dem Kopf voraus durch die Tür der Hütte. Noch bevor er den Schmerz wahrnehmen kann, wird der gesamte Bau von einem Windstoß, der die Geschwindigkeit eines Tornados erreicht, wie ein Kartenhaus von seinem Fundament geblasen. Die Trümmer verschwinden in dem glühend heißen Hauch, der über die Ebene rast und alles in seinem Weg verschlingt.
Chichén Itzá Halbinsel Yukatan
22.56 Uhr Der schwarze, staubbedeckte Chevy-Pickup mit der fehlenden hinteren Stoßstange rumpelt durch den dichten Dschungel. Seine abgenutzten Stoßdämpfer quittieren jedes Loch in der holprigen Piste mit einem protestierenden Quietschen. Vor einem mit einer Kette verschlossenen Tor kommt der Kleinlaster schlitternd zum Stehen.
Michael Gabriel springt aus der Fahrertür.
Er untersucht die Stahlkette, dann macht er sich im Schweinwerferlicht an dem verrosteten Vorhängeschloss zu schaffen.
Als Dominique sieht, wie Mick das Schloss öffnet und die Kette entfernt, rutscht sie auf den Fahrersitz. Sie legt den Gang ein, lenkt den Pickup durchs offene Tor und
setzt sich wieder auf den Beifahrersitz, um Mick den Platz am Steuer zu überlassen.
»Nicht schlecht. Wo hast du eigentlich gelernt, Schlösser zu knacken?«
»In meiner Einzelzelle. Es ist allerdings immer von Vorteil, wenn man den Schlüssel hat.«
»Und wo hast du den her?«
»Ein paar Freunde von mir arbeiten für die Parkverwaltung. Irgendwie schade, dass die heutigen Maya in der Stadt, die ihre Vorfahren erbaut haben, nur Arbeit als Kellner oder Müllkutscher finden.«
Dominique klammert sich ans Armaturenbrett, als Mick auf der holprigen Straße beschleunigt. »Weißt du überhaupt, wo du hinwillst?«
»Klar, schließlich hab ich den größten Teil meiner Kindheit in Chichen Itzä verbracht. Ich kenne den Dschungel hier wie meine Westentasche.«
Im Scheinwerferkegel erscheint drohend das Ende der Straße.
Mick lächelt. »Natürlich ist das schon lange her.«
»Mick!« Dominique kneift die Augen zu und hält sich krampfhaft fest, als er den Wagen plötzlich von der Piste und direkt in den Dschungel lenkt. Die Räder mühen sich durchs dichte Unterholz.
»Langsam! Willst du uns umbringen?«
Der Wagen schleudert durchs Dickicht. Irgendwie schafft es Mick, den Bäumen und Felsen auszuweichen. Sie gelangen in ein dicht bewaldetes Gebiet, in dem das Blätterdach den Nachthimmel verbirgt.
Mick tritt auf die Bremse. »Ende der Straße.«
»Das nennst du eine Straße?«
Er stellt den Motor ab.
»Mick, sag mir doch bitte noch mal, wieso...«
»Pssst. Sperr die Ohren auf.«
Das einzige Geräusch, das sie hört, ist das Ticken des Motors. »Worauf soll ich denn achten?«
»Nur Geduld.«
Langsam erwacht das Zirpen der Grillen um sie herum, gefolgt von den anderen Geräuschen des Dschungels.
Dominique wirft einen Blick auf Mick. Seine Augen sind geschlossen, auf sein kantiges Gesicht ist ein melancholischer Ausdruck getreten. »Geht’s dir nicht gut?«
»Doch.«
»Woran denkst du?«
»An meine Kindheit.«
»Ist es eine glückliche oder eine traurige Erinnerung?«
»Eine der wenigen glücklichen. Als ich noch ganz klein war, hat meine Mutter mit mir oft hier im Wald gezeltet. Sie hat mir viel über die Natur erzählt und über Yukatan - wie die Halbinsel sich
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