2012 - Schatten der Verdammnis
Knöchel.
Dominique sieht Mick fallen und unterdrückt einen Schrei. Bevor Raymond reagieren kann, schlüpft sie aus ihrer Strickjacke, wodurch noch mehr nackte Haut sichtbar wird. »Mein Gott, warum ist es hier eigentlich immer so heiß?«
Raymond quellen die Augen aus dem Kopf. Er steht auf und stellt sich an die Schranke. »Du willst, dass ich es dir besorge, stimmt’s?«
Aus dem Augenwinkel sieht sie, wie Mick aufsteht. Er beginnt wieder zu klettern. Das Bild wechselt.
»Ray, mach dir nichts vor - mit den ganzen Steroiden, die du in den Muskeln hast, hältst du doch nicht so lange durch, wie ich es brauche.«
Raymond öffnet die Schranke. »Ziemlich heiße Worte für ’ne Frau, die mir vor drei Wochen fast den Kehlkopf ruiniert hat.«
»Du hast es immer noch nicht kapiert, was? Keine Frau mag es, wenn man sie dazu zwingt.«
»Du spielst doch bloß mit mir, oder? Du willst mich so weit bringen, dass sie mich endgültig rausschmeißen!«
»Vielleicht will ich mich auch nur entschuldigen.« Komm schon, Mick, beeil dich...
Der Schmerz hält ihn bei Bewusstsein.
Mick beißt noch fester die Zähne zusammen und zieht sich stöhnend höher, während er sich wie ein Bergsteiger an der Mauer hocharbeitet. Noch drei Schritte, bloß noch drei, mach schon, du Arschloch. Jetzt sind es nur noch zwei - pass auf deine Arme auf, schließ die Fäuste enger. Gut, gut. Halt, durchatmen. Okay, jetzt der letzte halbe Meter, komm schon...
Er hat die Mauerkrone erreicht. Mit letzter Kraft wickelt er sich das Seil ein halbes Dutzend mal um den linken Arm, um nicht abzustürzen. Direkt vor sich sieht er die Stacheldrahtrolle. Er zieht die Drahtschere aus der Gesäßtasche und legt die Schneiden an eine Drahtschlinge rechts vom Seil.
Mit aller Kraft drückt er die Scherengriffe zusammen, bis der stählerne Draht durchtrennt ist. Mick packt mit der Schere die nächste Schlinge und konzentriert sich mühsam auf den Draht, während die Droge sein Blickfeld rasch immer enger werden lässt.
Raymond lehnt sich an die Wand und starrt auf die beiden prallen Hügel, die sich unter Dominiques Top wölben. »Wie wär’s mit einem Deal, Kleine? Wir schieben ’ne kleine Nummer, dann lasse ich deinen Süßen in Ruhe.«
Sie greift sich an den Hals, als würde es sie jucken, um einen Blick auf den Monitor hinter der Schranke zu werfen. Mick arbeitet noch immer am Stacheldraht.
Spiel auf Zeit. »Willst du es etwa gleich hier machen?«
Seine Hand bewegt sich an ihrem Arm empor. »Da bist du nicht die Erste.« Übelkeit steigt in ihr auf, als er mit der Spitze seines Zeigefingers über die Konturen einer Brustwarze fährt.
Mick zerrt die Stacheldrahtschlinge von der Mauerkrone, dann zieht er sich hinauf und liegt nun schwankend auf der Brust. Er schiebt sich weiter vor und blickt auf der anderen Seite sechs Meter tief hinab. »Puuuh...«
Stöhnend zieht er das Nylonseil zu sich herauf und schlingt es mehrfach um den verbliebenen Stacheldraht, dessen Spitzen sich in sein Fleisch bohren. Dann wickelt er sich das Ende um die Handgelenke, schiebt sich über die Kante und lässt sich fallen.
Mick stürzt fast vier Meter tief hinab, bevor das Seil am Stacheldraht Halt findet und seinen Fall bremst. An den Handgelenken hängend, spürt er, wie sein Gewicht die Drahtrolle von der Mauerkrone wegzieht und ihn auf den Gehsteig sinken lässt.
Sekunden später kniet er auf allen vieren und starrt wie ein erschrockenes Tier in ein näher kommendes Schweinwerferpaar.
»Aufhören, Ray! Ich hab gesagt, du sollst aufhören!« Dominique schiebt seine Hand von ihrer Brust und zieht eine kleine Dose Reizgas aus der Handtasche.
»Du verfluchtes Miststück - du willst mich bloß verarschen!«
Sie weicht zurück. »Nein, mir ist nur gerade klar geworden, dass Mick den Preis, den du verlangst, nicht wert ist.«
»Verdammte Nutte...«
Sie dreht sich um und drückt das Gesicht an den Infrarotscanner. Komm schon... Sie wartet auf den Summton, dann drückt sie die Tür auf und schlüpft hinaus.
»Na schön, Kleine, du hast es so gewollt. Jetzt wird dein Süßer damit leben müssen.« Raymond zieht die Schublade seines Schreibtischs auf. Er holt einen dünnen Gummischlauch heraus und geht zum Aufzug.
Dominique erreicht den Parkplatz und sieht erleichtert, wie der Dodge-Van in Route 441 einbiegt. Sie klappt die Motorhaube ihres Wagens auf und wählt die eingespeicherte Nummer des Pannendienstes.
Der Aufzug hält im sechsten Stock.
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