2012 - Tag der Prophezeiung: Roman (German Edition)
blockieren. Ich trat auf die erste Stufe im Meer der Treppen. Mein kleiner Trupp folgte meinem Beispiel und umgab mich in einer ovalen Formation. Acht Stufen. Neun. Die erste Terrasse schnitt sich mit einer zweiten Flut von Wellen und Kräuseln mit klaren Kanten, schwarzen Wellentälern und grünen Brechern, zerschrammt und poliert und geglättet wie eine Marmorskulptur von Noguchi. Und die Ozelots ließen uns durch. Ich vermute, wir hatten die Angst zum Verbündeten, denn für die meisten von ihnen war es tatsächlich so, als hätte ich mich in Schakal verwandelt und nicht einfach nur versteckt und dann verkleidet. Diese Menschen waren in gewisser Weise nicht in der Lage, das Konzept der Verkleidung zu durchschauen; wenn jemand das Kostüm eines Rauchers anlegte, verkleidete er sich nicht, sondern nahm dessen Identität an, und das war eine sehr ernste Sache. Außerdem weilten viele Zuschauer an der Endzone nur zu Besuch in Ix und waren aufkeinen Kampf vorbereitet. Und natürlich galten wir nach wie vor als Gäste der Ozelots, und Gastfreundschaft nahm man nicht auf die leichte Schulter. Sie sahen nur acht kleine Kerle mitten in ihrem Revier vor sich und hatten alle Zeit der Welt, sich auf uns zu stürzen. Vor allem waren sie sich noch nicht ganz sicher, ob wir vielleicht doch nur Teil der Show sein könnten. Alle beobachteten die Kämpfe, die auf dem Spielfeld entbrannten und sich bis auf die Tribünen ausbreiteten, und sie fragten sich, worum es ging, ob die Panik der Anfang einer weiteren karthagischen Katastrophe sei, was man von ihnen erwartete, und so weiter. Jedenfalls befanden wir uns ungefähr vierzig Schläge lang im Niemandsland zwischen Aktion und Reaktion, wo man sich eine ganze Menge herausnehmen kann, wenn man einfach ruhig weitergeht und dabei kein bisschen nervös wirkt.
Wir näherten uns langsam dem Ozelot-Haus zu unserer Linken. Nur noch ein bisschen weiter … Die smaragdgrüne Mul erhob sich drohend rechts von uns. Wir kamen auf die Höhe der Wohnquartiere für die Frauen des Palastes. Ich glaube, Gynäzeum ist das richtige Wort dafür, aber wen interessiert das schon. Das Haus war nicht vollständig von Mauern umgeben wie die Wohntrakte in Teotihuacán, und auch Fenster gab es keine, aber überall sah man Nischen mit einladenden kleinen Türen. Scharenweise blickten Ozelot-Frauen von ihren Haremsbalkons im Dachgarten zu uns herunter. Ich schob das Messer unter meine Rückenpolsterung und sägte an den Riemen meines Balljochs.
Wir gehen dort durch, signalisierte ich Hun Xoc, indem ich ihm auf den Arm klopfte. Sein Blick fand die Tür, die ich ausgesucht hatte. Sie war nur zwanzig Meter entfernt, aber ich unterdrückte den Drang zu rennen. Ich wandte mich an den Hauptmann der Rassler-Gardisten, der offenbar begriffen hatte, was wir taten. Er wirkte sehr beflissen, meine Befehle zu befolgen. Koh musste ihm erklärt haben, dass sein Leben vollkommen zu meiner Disposition stehe. Das ist eine der guten Seiten eines feudalen Kastensystems: Ab und zu findet man sehr tüchtige Mitarbeiter. Oder wenigstens entschlossene.
Auf dem Hof brachen die Kampfrufe los. Sieh dich nicht um, klopfte ich Hun Xoc zu. Endlich bekam ich mein Balljoch herunterund schwang es mit der Rechten wie eine Schlachtkeule. Perlenbesetzte Schnüre schleiften über die Stufen. Ich wünschte mir immerfort, wir hätten Zeit gehabt, die ganze Sache zu proben. Ich schwenkte nach links in die Türnische. Die Tür bestand aus rot geöltem, gestepptem Hirschleder, das die hohe Wandöffnung verdeckte. An der Innenseite war es festgebunden, aber es öffnete sich nach oben, und ich durchtrennte den oberen linken Halteriemen. Der Rassler-Hauptmann zerschnitt wie auf Stichwort die anderen vier und riss die Tür herunter. Mittlerweile drängten hinter uns Ozelot-Geblüte heran und fragten, was wir eigentlich vorhätten, und unsere äußeren Rassler-Geblüte hatten die Streitkolben erhoben.
Die ersten sechs von uns schoben sich in eine winzige Schwitzkammer und gelangten durch die Tür auf der gegenüberliegenden Seite in einen kleinen quadratischen Hof. Auf dem Boden lagen allerlei frisch gefärbte bunte Festkleider aus Baumwolle zum Trocknen ausgebreitet. Fünf oder sechs Ozelot-Frauen mit offenem Haar, nur mit feuchten, smaragdgrün-weißen huipils bekleidet, flohen gerade durch eine zweite Tür auf der anderen Seite des Hofes. Nur eine kleine, rundliche alte Großmutter blieb mitten im Hof stehen, kreischte den Rassler-Hauptmann an und
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